Mein zuletzt gelesenes Buch hat mich doch nachhaltig beeindruckt – so nachhaltig, dass es mir momentan etwas schwer fällt, mich auf ein neues Lesethema einzustellen:
Der Grund dafür ist weniger, das es nun „schwere Kost“ gewesen wäre (was es nicht war) – als vielmehr, das ich zwischen der Hauptfigur (Henry) und mir immer wieder Parallelen entdeckt habe, die mich abschweifen liessen und Anlass zu weiterem Nachdenken geben – teils bei ganz alltäglichen Dingen, teils aber auch bei tiefer gehenden Überlegungen, die er gedanklich anstellt, um sein Leben zu meistern.
So sind Henry (genau wie mir) die täglichen Rituale sehr wichtig, die das Zusammenleben mit Emily (seiner Frau) prägen und er vermisst sie sehr, wenn die beiden mal nicht zusammen sind.
Beispielsweise in dieser, uns sicher allen bekannten Situation:
„Sie konnten nicht auseinandergehen, ohne «Ich liebe dich» zu sagen, ein Ritual, das inzwischen fast eine Vorsichtsmaßnahme war, als würden sie sich vielleicht nicht wiedersehen.“
Ein Satz, bei dem ich mich unwillkürlich grinsend bei dem Gedanken ertappt habe, dass es mir genau so geht, denn man weis ja nie…
Wobei nach menschlichem Ermessen eigentlich nichts schlimmes passieren kann und Henry (auch wieder genau wie ich) die Welt mit viel Gottvertrauen betrachtet und den Glauben an einen guten Ausgang der Dinge nie aufgibt. Bis auf die kurze Momente, die ihm einen Stich ins Herz versetzen, weil die Frage
„Was wäre wenn?“
sich nicht mehr verdrängen lässt.
Ein Gedanke übrigens, der Henry im Lauf des Buchs immer wieder beschäftigt, schon aufgrund seines und Emily’s Alters und der Krankheiten, die beide haben.
Nun sind Henry und Emily zwar um einige Jahre älter als meine Liebste und ich, aber den Gedanken „Was wäre wenn?“ haben wir beide wohl auch schon gehabt.
Im Geheimen und jeder für sich, wie Henry das für sich handhabt, aber auch schon mal offen und zusammen überlegend, was wirklich sein könnte, wenn das „Unvorstellbare“ eintreten sollte. Zumindest ansatzweise haben wir da schon über vieles geredet, manchmal im Scherz, manchmal aber auch sehr ernsthaft, aber doch nie bis in die letzte Konsequenz hinein.
Wobei wir realistisch genug sind zu erkennen, dass es noch ein sehr weiter Weg ist bis zu unserer goldenen Hochzeit, die wir uns beide ganz am Anfang unserer Beziehung als gemeinsames Ziel vorgenommen haben. Ein Wunschtraum, den zu erreichen schwer möglich sein wird, wenn er nicht ganz und gar unerreichbar bliebt, weil einer von uns die Kraft nicht mehr hat.
Und das ist – leider- wohl das wahrscheinlichere Szenario, wie auch, dass einer den anderen überleben wird – womit sich die Frage auftut, was mit dem wird, der „übrig bleibt“ – der Punkt übrigens, an dem auch Henry scheitert, weil er jeden weiteren Gedanken darüber für undenkbar hält -zumindest bezogen auf seine eigene Person:
Er mag sich nicht – und er kann sich wohl auch nicht – mit dem Gedanken befassen, was wäre, wenn er selbst derjenige wäre, der Emily überlebt. Mehr als diffusen Nebel vermag er da nicht zu sehen, wenn er versucht sich das vorzustellen – verbunden mit einem ängstlichen-vorahnenden Gefühl des „Alleine-gelassen-werdens“, welches ihm schon seit Kindertagen bekannt ist. Ein Gefühl, dass er immer wieder schnell zu unterdrücken versucht, in dem er sich in Aufgaben flüchtet, die ihm näher liegen (und auch das kenne ich nur zu gut).
Anders jedoch, wenn er beginnt, über seinen eigenen Tod nachzudenken: Da plant er vor, achtet darauf, dass es Emily an „nichts fehlen soll“ und sieht selbst seine eigene Beerdigung sehr pragmatisch:
„Wie die Beerdigung gehörte ein Geburtstag nicht einem selbst, sondern war für die Menschen bestimmt, die einen liebten. Warum sich dem Unvermeidlichen widersetzen?“
Allerdings nicht, ohne sich darüber hinaus auch Sorgen um Emily zu machen, obwohl er im grossen und ganzen zuversichtlich ist, dass sie ohne ihn wohl besser zurecht kommen würde als er ohne sie – dabei aber ausser Acht lässt, dass ihr sehr wohl etwas fehlen wird, nämlich er selbst.
Und an dieser Stelle kommen die beiden anderen Bücher der Reihe ins Spiel, bei denen insbesondere das zweite Buch (welches gut zehn Jahre später einsetzt und sich mit Emily beschäftigt) zeigt, dass Henry mit seiner Überlegung in Bezug auf Emily wohl Recht gehabt hatte, aber gleichzeitig auch ein Defizit offenbart, welches beide zusammen in ihrer Beziehung hatten. Nicht reden zu können über das, was unvermeidlich kommen würde: das Sterben und die Zeit danach.
Obschon Emily nach aussen hin gut mit Henrys Tod zurecht kommt und auch die Trauer um ihn gut verarbeitet zu haben scheint, gibt es in ihrem Leben immer wieder Momente der Sehnsucht und das bittere Gefühl, manches nicht zu Ende besprochen zu haben, ja sogar unvorbereitet gewesen zu sein auf die Einsamkeit und die Lücke, die er hinterlassen hat. Ein Vorwurf an ihn, der gelegentlich in ihren Gedanken wabert und nicht zu Ende gedacht, geschweige denn ausgesprochen wird, aber doch zeigt, dass die beiden sich keinen Gefallen damit getan haben, einander schonen zu wollen, indem sie dieses Thema weitgehend ausgespart haben und jeder nur versucht hat, alleine damit klar zu kommen.
Auch das wieder eine Parallele, die mir zu denken gibt, obschon ich glaube, das wir (die Liebste und ich) da ein kleines Stück weiter sind als Henry und Emily:
Nicht dass es akut einen Anlass gäbe, aber wenn es so kommt, dass einer alleine bleibt (alleine bleiben muss), dann könnte es doch hilfreich sein, sich darauf gemeinsam vorzubereiten. Nicht heute, nicht morgen und ganz sicher nicht in einem einzigen Gespräch, aber ganz langsam, peu-a-peu und ohne etwas übers Knie zu brechen?
Denn wenn wir alle Sorgen gemeinsam tragen, warum also nicht auch dann, wenn es um dieses schwierige Thema geht?
Zumal wir wissen, was kommen wird – unvermeidlich, irgendwann….
Ich jedenfalls würde mir das wünschen (nicht nur meiner Ängste wegen) und ich glaube zu wissen, dass meine Liebste das auch tut.
Nur dass es noch keiner offen ausgesprochen hat…..
-_-_-_-
Noch eine Bemerkung zum Schluss:
Ja, ich weis, es ist ein schwieriges Thema, was ich Euch da gerade zugemutet habe – und ich war mir auch nicht sicher, ob ich es Euch zumuten kann, obschon es mich nicht erst seit ein paar Tagen bewegt. Keine grau gefärbten „Novembergedanken“ also – und das Buch war auch nicht die Initialzündung dazu, sondern „nur“ ein Anlass, meine Gedanken in Worte zu fassen, die – zugegeben – auch nicht frei von Ängsten sind.
Aber wer hätte die nicht bei diesem Thema?
Ich danke Euch fürs lesen und auch – falls ihr Lust habt – für Eure Kommentare dazu – in denen ihr mir gerne auch mitteilen dürft, dass es Themen gibt, die man besser ruhen lassen sollte. Denn ich kann auch verstehen, wenn jemand sich nicht damit auseinandersetzen möchte.
Und dennoch:
Bleibt gesund und bleibt behütet.
Wir lesen uns.
Der Wilhelm.
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