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„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Nicht mehr alle Latten am Zaun?

Vorhin im Insel-Einkaufs-Center konnte man erleben, dass Rasen und Rücksichtslosigkeit im Verkehr nicht unbedingt nur ein Privileg der Jugend ist –  wenn auch Senioren der Altersklasse 75+  hier in Hamburg üblicherweise eher damit auffallen, die Schaufensterscheiben in der der Waitzstrasse zu demolieren, welche damit in ganz Deutschland einen einsamen Rekord hält und zu zweifelhafter Berühmtheit gekommen ist.

Aber um zerstörte Schaufensterscheiben geht es hier nicht, sondern um zwei ältere Herrschaften ebendieser Altersklasse auf Rentner-Quads der schnellen Sorte, die sich – ihre Krücken hinten drauf geschnallt – in den langen Gängen des Einkaufzentrums ein wüstes Rennen lieferten – ohne Rücksicht auf ihre Altersgenossinen mit den Rollatoren oder die allgegenwärtigen Muttis mit den Kinderwagen. Wer nicht schnell genug beiseite springen konnte, wurde gnadenlos weggehupt, genau so wie der sonst immer sehr  gelassene Sicherheitsmann, der nur noch beiseite springen konnte, um nicht einfach über den Haufen gefahren zu werden  – und anschliessend den beiden Rasern nicht hinterher kam, als sie hintereinander vor seinen Augen das Center durch die grosse Autmatiktür verlassen hatten.

Immerhin dürfen die Dinger mit Versicherungskennzeichen (was beide dran hatten) bis zu 25 km/h schnell fahren, aber muss das eigentlich  im Einkauf-Center sein?
Und auch draussen war der Zweikampf offensichtlich noch nicht beendet.
Denn auf dem gut belebten Vorplatz wurde erst richtig aufgedreht und später – auf dem Heimweg – konnte ich beobachten, wie die beiden alternde Heisssporne einvernehmlich Jagd auf harmlose Radfahrer machten, die Ihnen offensichtlich  nicht schnell genug unterwegs waren….
Und da denkt man, auf unser Insel sei nichts los

Die Zwei hatten jedenfalls ganz sicher nicht mehr alle Latten am Zaun und man kann eigentlich nur hoffen, dass die Akkus ihrer „Renngeräte“ weit ab von jeder Steckdose den Geist aufgeben.
(Nein, ich gönne denen gar nichts schlechtes, aber ein wenig Lehrgeld zahlen müssen haben sie sich sicher verdient).

Wenn das Verhalten Schule machen sollte, wird sich die Autoposer-Soko der Hamburger Polizei wohl in Zukunft auch noch um durchgeknallte alte Männer auf tiefer gelegten E-Rollis kümmern müssen.
Prollige Luxus-Schlitten mit Migrationshintergrund waren gestern…..


In diesem Sinne:
Achtet auf Senioren im Strassenverkehr, bleibt gesund und bleibt behütet!
Wir lesen uns
Der Wilhelm


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Henry persönlich – Roman

Nun also – im dritten Teil der „Maxwell-Trilogie“ – lernen wir Henry selbst kennen, den Mann von Emily und ehemaligen Besitzer des Sommerhauses in Chautauqua. Wieder eingebettet in eine Alltagshandlung ohne grosse Höhen und Tiefen sehen wir die Welt durch seine Augen und haben Teil an seinen Gefühlen und Gedanken.

Henry, zum Zeitpunkt der Handlung fünfundsiebzig Jahre alt, ist ein „typischer“ Mittelstands-Amerikaner, hat als Ingenieur eine erfolgreiche Karriere hinter sich gelegt, ohne dabei allzu grossen Ehrgeiz zu entwickeln und lebt nun im Ruhestand, der geprägt ist von alltäglichen Routinen und kleinen Highlights, wie den beinahe generalstabsmässig geplanten Fahrten zum Sommerhaus oder Besuchen von Kindern und Enkeln – aber auch überschattet von gelegentlichen gesundheitlichen Problemen, die er gerne verdrängt und nicht wahr haben möchte.
Arztbesuche sind ihm ein Greuel. Ohne Emily’s Druck (die auch die Termine für ihn macht), würde er wohl nicht hingehen –  selbst wenn sich in einem Kopf gelegentlich hypochondrische Gedanken breit machen und darauf fussend Horroszenarien entstsehen, die Ihm Angst machen.
Henry liebt Emily, an deren Eigenarten er sich angepasst hat, er mag Harmonie (und trotz seines Alters romatische Momente und Zärtlichkeiten) er schätzt gutes Essen, auch wenn es ihm nicht gut tut und organisiert sein Leben in Listen, die er pedantisch abarbeitet, weil ihm dies Sicherheit gibt. Zu seinen Kindern hat er selbst keinen guten Kontakt, obwohl er sich Sorgen um sie macht – was er darauf zurück führt, dass er durch seine Arbeit zu wenig von ihrer Entwicklung  mit bekommen hat – und er fühlt sich ausgeschlossen, wenn es um deren Probleme geht, die sie – zumindest teilweise – mit Emily besprechen. Anderseits ist er aber auch ganz froh, dass Emily diese Brücke zu seinen Kinder bildet, genau wie zu Nachbarn und Freunden, über die sie immer bestens informiert ist, während er selbst wenig von ihnen weis (und manchmal auch gar nicht alles wissen will, was Emily in Erfahrung gebracht hat….)

Insgesamt ist Henry jedoch zufrieden mit seinem Leben und dem, was er erreicht hat – mit zwei bescheidenen Häusern, seinem alten Auto, und dem kleinen Wohlstand, der allen zusammen ein auskömmliches Leben ermöglicht. Wären da nicht die Kriegserlebnise, über die er nicht reden kann, Ängste, die er Emily verschweigt und eine erste grosse Liebe lange vor Emily, für die er sich schämt, ohne dass es einen wirklichen Grund dafür gäbe…..

Henry perönlich
Von Stewart O’Nan

Und genau diese  Nebengeschichten in immer wieder fast unmerklich einfliessenden Rückblenden bis in die KIndheit  sind es, die das Buch für mich so lesenswert gemacht haben, weil sie einen so tiefen Einblick in Henrys Gefühlsleben bieten, welches er hinter seiner immer ruhig bleibenden Fassade  und seiner bedachtsamen Art versteckt.
Wobei ich zugeben muss, dass ich mich oft dabei ertappt habe, genauso zu empfinden wie er, ja manchmal mich sogar ähnlich verhalte…. Was vielleicht ein Grund war, warum ich das Gefühl hatte, dieses Buch nicht ganz so flüssig lesen zu können wie die beiden vorhergehenden Erzählungen:
Inspiriert von Henrys Gedanken hatte ich nämlich immer wieder die Tendenz, in eigene Erinnerungen und Überlegungen abzugleiten – oder (bezogen auf Henrys Kriegserlebnisse) an meinen Vater zu denken, der auch nicht darüber sprechen konnte, aber sicher auch gelegentlich unter seinen Traumata gelitten hat, ohne das wir als Kinder das gemerkt oder Rücksicht darauf genommen  hätten.
So gesehen wird mich dieses Buch vermutlich noch eine Weile beschäftigen und möglicherweise auch Anlass für den einen oder anderen Blogbeitrag werden  können – Schaunmermal.

Fasziniert hat mich auch Henrys Beziehung zu Emily und das tiefe Vertrauen und die Liebe zueinander, welche die beiden verbindet.  Womit sich auch erklärt, warum Emily in den beiden anderen Büchern immer ein wenig „unvollständig“ wirkt, obwohl sie ihr Leben als Witwe doch hervorragend meistert. Was Henry übrigens in kurzen Blicken in die Zukunft auch so vorher sieht, wobei er selbst den Gedanken für undenkbar hält, derjenige von Beiden zu sein, der „übrig bleibt“ – immer das Beispiel seines Vaters vor Augen, der als Witwer keine gute Figur gemacht hat….

Der Klappentext – zumindest nicht ganz unzutreffend:

Stewart O’Nan zeigt sich als ein Meister darin, das Leben eines gar nicht so besonderen Mannes und Ehemannes auf eine zärtliche, einfühlsame Weise zu beschreiben.
Seit fast fünfzig Jahren ist Henry Maxwell verheiratet – mit Emily, die wir schon aus O’Nans hinreißendem Bestseller „Emily, allein“ kennen. Da ist sie achtzig und schon Jahre verwitwet, führt in ihrem schönen, überschaubaren Routine-Universum ein ziemlich gleichförmiges Leben, allein mit Rufus, ihrem Hund. Nun hat O’Nan die Zeit zurückgedreht und Henry, dem Ehemann, ein eigenes Buch gewidmet, vielmehr ihm und Emily als Ehepaar.
Die beiden leben in Pittsburgh, und ihre Kinder und Enkel sind weit entfernt. Emily kocht, und Henry macht den Abwasch, sie hält die Kontakte zu Nachbarn und Familie, und wenn sie ihm davon erzählt, hört er ihr immer gerne zu. Er steht an seiner Werkbank und repariert, was im Haus kaputt geht, trifft sich mit Freunden zum Golfen, engagiert sich im Kirchenvorstand und lädt – zu besonderen Anlässen – Emily zu Restaurantbesuchen ein. Ein mit viel Puderzucker bestreuter Zitronenkuchen macht ihn glücklich, erfüllt ihn mit Wohlwollen gegenüber der ganzen Welt.
„Henry persönlich“ ist das Porträt eines liebenswert-verschrobenen Mannes, der am Ende seines Lebens erkennt, dass das Alter nicht etwa eine Sackgasse, sondern voller Überraschungen ist.

Denn für mich ist Henry keinesfalls verschroben, sondern in seiner gesamten Persönlichkeit ein Produkt dessen, was er erlebt hat. Liebenswert ist er allemal und deutlich vielschichtiger, als der Klappentext uns glauben machen will.

Bleibt als Fazit noch, dass im Kontext aller drei Maxwell-Bücher dieses Buch das für mich „anstrengendste“, aber auch lesenswerteste war, schon weil ich mich Henry beim Lesen sehr nahe gefühlt habe – Nicht nur, was die Probleme des älter werdens angeht.. ..
Und es könnte gut sein, dass ich es deswegen auch nochmal lesen werde.
Und schon deswegen:
Fünf Sterne dafür!


In diesem Sinne:
Euch allen eine gute Woche, bleibt gesund und bleibt behütet!
Wir lesen uns
Der Wilhelm


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