– – tageweise unsortiertes – –
„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Das Sonntagszitat 38/22

Guten Morgen zusammen!

Wer heute etwas „Ernsthaftes“ von mir erwartet, den muss ich leider enttäuschen.
Denn mein heutiges Zitat kommt eher aus der Blödelecke und beschreibt eine Situation, die einem als Beobachter wirklich den letzten Nerv rauben kann:

……..
Der Schaffner kommt schon nach kurzer Frist
Fragt, wer da noch ohne Fahrschein ist
Und die Dame in den vorgerückten Jahren
Die sagt, sie wollte zum Bahnhof fahren
Macht ihr Handtäschchen auf dann in aller Ruh‘
Nimmt’s Portmonnaie raus und macht’s Handtäschchen zu
Macht’s Portmonnaie auf, nimmt zehn Pfennige raus
Macht’s Portmonnaie zu und macht’s Handtäschchen auf
Tut’s Portmonnaie rein, schließt’s Handtäschchen fein
Und händigt dem Schaffner das Geldstück dann ein

Der Schaffner zuckt mit den Schultern und spricht:
„Für zehn Pfennige, das machen wir nicht –
Zum Bahnhof, das kostet zwei Groschen mehr!“
Die Dame nimmt wieder ihr Handtäschchen her
Sie macht’s wieder auf in seliger Ruh‘
Nimmt’s Portmonnaie raus und macht’s Handtäschchen zu
Macht’s Portmonnaie auf, holt raus eine Mark
Macht’s Portmonnaie zu, es klemmte schon stark
Macht’s Handtäschchen auf, tut’s Portmonnaie rein
Macht’s Handtäschchen zu, und sie kriegt dann den Schein

Und wohin mit dem Schein, dass man den nicht verliert?
So denkt sich die Dame und nimmt unbeirrt
Das Handtäschchen wieder in aller Ruh‘
Nimmt’s Portmonnaie raus und macht’s Handtäschchen zu
Macht’s Portmonnaie auf, um den Schein rein zu tun
Macht’s Portmonnaie zu und macht’s Handtäschchen nun
Von neuem wieder auf, tut’s Portmonnaie wieder rein
Macht’s Handtäschchen zu, als müsst‘ das so sein

………..

Horst Koch – Das Handtäschen

-_-_-_-


Wie ich darauf komme?
Nun, inspiriert hat mich dazu ein Urlaubserlebnis mit einem alten Ehepaar, offenbar schon lange auf dem gemeinsamen Lebensweg und ein eingespieltes Team, das bei unserer Fahrt zu den Robbenbänken unmittelbar vor mir sass.

Denn da konnte man wirklich beobachten, wie symbiotisches Handeln funktioniert, wenn es langjährig eingeübt ist – und auch ein Handtäschchen spielte dabei eine Rolle ;-)

-_-_-_-

Also lasst mich kurz beschreiben, was da zu beobachten war, wobei ich der Einfachheit halber die Beiden in der Folge als „Vati“ und „Mutti“ titulieren möchte.

Vati sitzt recht raumgreifend auf der Bank und beobachtet neugierig das Geschehen auf dem Wasser jenseits der Reling, Mutti leicht missmutig links neben ihm, ihre Handtasche krampfhaft an die Brust gepresst. Bis Vati wortlos die Brille abnimmt und nach links reicht, woraufhin Mutti in hektische Aktion verfällt, das Handtäschchen aufklipst, das Brillenteui herausnimmt, es aufklipst und die Brille darin versenkt, das Brillenteui zuklappt und im Handtäschchen versenkt, das Fernglas aus dem Täschchen herausnimmt, vom Etui befreit und an Vati weiterreicht, das Fernglasetui wieder in das Täschchen gibt und dieses wieder verschliesst und an ihren Busen drückt, während Vati das Fernglas huldvoll entgegennimmt die Welt in achtfacher Vergrösserung zu betrachten geruht.

Kurz darauf – Vati hat offenbar genug in die Ferne geschaut und reicht das Fernglas nach links – die selbe Aktion in umgekehrter Reihenfolge:
Also Handtäschchen auf, Fernglas ins Etui versenkt, selbiges achtsam verschlossen und in die Tasche gelegt, Brillenetui raus, Brillenetui auf und Brille an Vati gereicht, Brillenetui zu, ins Täschchen versenkt und Handtäschchen zu….

Und das nicht nur einmal, sondern bis zum Erreichen der Robbenbänke mehrfach, ohne, dass die beiden auch nur ein Wort gewechselt hätten…..

Am Ziel angekommen, dachte ich, das Prozedere würde sich nun nochmal wiederholen, denn schliesslich gab es ja jetzt wirklich was zu gucken.


Aber weit gefehlt, denn diesmal wurde zwar auch die Brille wieder wortlos nach links gereicht, aber nach dem Handtäschen- und Brillenetui-öffnen, Brille versenken, Brillenetui schliessen und im Handtäschchen verschwinden lassen kam mitnichten das Fernglas zum Vorschein, sondern eine kleine Kamera wurde aus ihrer Hülle gepult, mit der Vati pflichtschuldigst (damit man der lieben Verwandtschaft zuhause was zeigen kann) ein paar Bilder gemacht hat, bevor diese im Tausch mit der Brille samt auf- und zuklappen der diversen Behältnisse wieder in den Tiefen der Handtasche verschwand und in der Folge noch zwei, drei mal das Fernglas im immer gleichen Prozedere zum Einsatz kommen sollte, wie immer wortlos in meisterhafter nonverbaler Kommunikation…..

Nicht, dass mich das nun – wie im zitierten Lied – zur Weissglut getrieben oder gar zu Handgreiflichkeiten verleitet hätte – aber etwas skurril fand ich es schon, was da zu beobachten war. Zumal Mutti offensichtlich kaum Interesse an den Robben als der eigentlichen Attraktion der Dampferfahrt hatte, sondern voll und ganz auf Vatis Wünsche fokussiert zu sein schien – immer vorausahnend und im vorauseilenden Gehorsam offenbar völlig richtig liegend, was Vati gerade an technischem Gerät benötigte….

-_-_-_-

Und natürlich habe ich mich angesichts meiner Beobachtungen auch gefragt, welches Bild meine Liebste und ich wohl nach aussen bieten?
Vorauseilender Gehorsam und völlige Selbstaufgabe wird das hoffentlich nicht sein …… auch nicht nach langjähriger Ehe.


Habt alle einen wunderbaren Sonntag und bleibt gesund und behütet!
Wir lesen uns :bye:

Euer Wilhelm,

der seine Brille lieber einfach nach oben schiebt, als sie nach links weiterzureichen….


-722-

- 28 Bemerkungen zu “Das Sonntagszitat 38/22

  1. Mr. Spock würde die Augenbraue heben und „faszinierend“ sagen. Ich befinde es befremdlich – aber es zeigt auch, dass es sehr unterschiedliche Prinzipien gibt auf denen eine Beziehung aufgebaut werden kann.

    1. Befremdlich – das ist wohl das richtige Wort.
      Zumal sich noch eine weitere Szene beobachten liess, als die beiden das Schiff verlassen hatten und dem Parkplatz zustrebten.
      Er zielstrebig weit vorneweg und sie (offenbar in ähnlicher Weise gehbehindert wie ich) in meilenweitem Abstand hinterher, ohne dass er auch nur einmal auf sie gewartet oder sich nur nach ihr umgedreht hätte…..
      Und ich muss sagen,: da hat mir die arme Frau dann auch ziemlich leid getan.

  2. Handelt es sich um automatisiertes Verhalten oder Ticks die dort ausgelebt werden?

    Da sitzt du in der Nähe eines Paares und guckst (vielleicht fast zwanghaft?) dorthin was als nächstes passiert……

    Klick Tasche auf… Tasche zu.. .. ein Ablauf wie das regelmäßige Ticken einer Uhr ⏰

    Dieses Verhalten kann eine Ehe zerstören oder macht dieses Verhalten in diesem Fall die Ehe möglich?

    Wer in dieser Partnerschaft ist bekloppt er, sie oder beide?

    Er ist Therapeut sie war seine Patientin….? :redheart:

    Wenn ich das miterlebt hätte, hätte ich wahrscheinlich irgendwann einen Lachkrampf bekommen….. :yahoo: :mail: :heart:

    1. Die Frage nach dem Warum habe ich mir ehrlich gesagt gar nicht erst gestellt, auch wenn es für ihr beinahe schon zwanghaftes serviles Verhalten sicher Gründe geben mag, die in der gemeinsamen Geschichte der beiden liegen.
      Und mit dem Lachkrampf, das ging mir anfangs auch so, aber das Bedürfnis verschwand um so mehr, als ich die beiden in ihrer Interaktion beobachtet habe und zu der Frage kam, wie meine Liebste und ich als ebenfalls „gut aufeinander eingespieltes Paar“ wohl nach aussen wirken mögen….

  3. Nett fand ich auch die Begegnung, die wir im Watt hatten. Mutti musste Vati erst mal ordentlich anziehen, die Kapuze richten und aufpassen, dass Vati sich nicht verkühlt.

    1. Stimmt, aber das war auch ein ganz anderes Paar und diese Geste fand ich irgendwie auch sehr liebevoll und liebenswert…
      Ganz anders als bei den Beiden auf dem Schiff.

  4. Wenn ich das bemerkt hätte, ich hätte wohl kaum noch einen Blick für meine Umgebung gehabt.
    Brille hoch klappt bei mir nicht, bei mir hält da nichts. Eine Sonnenbrille stylisch auf den Kopf zu schieben ging noch nie, auch nicht, als ich noch mehr Haare hatte. Aber ich hab das eh nicht nötig, bin auch so stylisch genug.

    1. So gings mir in der Tat fast auch.
      Allerdings fand ich die faulenzenden Robben dann doch irgendwann faszinierender als das, was sich direkt vor meiner Nase abspielte..

      Wenn man die Brille nicht hochschieben kann, gäbe es aber auch noch ein technisches Hilfsmittel für mehr Selbständigkeit und Coolness – Schicke, trendige und sehr bequeme Brillenbänder aus Neopren in vielen bunten Farben:

      1. Dann hat man die Brille um den Hals baumeln? Oder dienen die bunten Farben der besseren Auffindung verlorengegangener Senioren, die zwischen den Supermarktregalen umherirren?

        1. Je nachdem, wie stramm das verstellbare Band sitzt, kann die Brille dann beim hochschieben auch auf der Stirn halten….
          Und ja, sicher kann das auch hilfreich sein, um aus einer Menschenmassen schon von weitem seinen Lieblingsmenschen herauszufinden.
          Jedenfalls, solange nicht alle solche Bänder tragen B-)

  5. Sicherlich nichts, was ich für mich als erstrebenswert erachten würde. Aber offensichtlich scheint es für beide zu funktionieren. Jede/r wird seinen/ihren Teil aus dieser Symbiose ziehen. Das kann man nie wissen. Aber da es für mich so gar nicht in Frage käme, fände ich es wohl auch ein bisschen befremdlich.

    1. Ob es für beide funktioniert? Oder ob es einfach eine ungute Symbiose ist?
      Ich war und bin mir da nicht sicher.

      Aber für mich käme es wohl in der Form auch nicht in Frage, genauso wenig wie das Zwanghafte, was in den Auspack- und Einpackhandlungen setckt

      1. Klaro, es gibt auch ungute Symbiosen. Um das zu beurteilen reicht reine Beobachten mit Sicherheit nicht – und eine „Nacherzählung“ erst recht nicht.

        1. Wohl wahr.
          Deshalb habe ich mich ja auch ganz bewusst nicht zu einem Urteil über diese Szene verstiegen, die als Blick von aussen allenfalls eine Momentaufnahme ist.

          Wirklich zu denken gab mir aber der Abgang der Beiden nach Verlassen des Schiffes (siehe meine Antwort weiter oben auf Aebbys Kommentar), der ja auch ein wenig auf meine und der Liebsten Beziehung zu übertragen wäre, weil die Gehbehinderung der Frau dabei sehr offensichtlich wurde mit ihrem typischen hangeln von Haltemöglichkeit zu Haltemöglichkeit, dass ich ja auch nur zu gut kenne….
          Nur dass es bei uns halt doch etwas anders abläuft, obschon meine Liebste mir oft auch ein ganzes Stück voraus ist.
          Allerdings nie, ohne zwischendurch auf mich zu warten und zu gucken, ob ich auch hinterherkommen kann…..

  6. Es ist ja in unserer Geschichte noch nicht allzu lange her, dass jungen Frauen Gehorsam in der Ehe abverlangt wurde. Den Gatten zu umsorgen war eine eheliche Pflicht. Meine Oma ist auch noch gesprungen, wenn der Opa mit dem Kaffeelöffel an die Tasse ballerte, um seinem Unmut Ausdruck zu verleihen, weil sie seine leere Tasse nicht schnell genug bemerkte. Aber das Lied oben finde ich witzig, denn es zeigt die Sorgfalt und Mühe einer Seniorin eine Situation im Alter allein und gut zu bewältigen. Alles in Ruhe und schön der Reihe nach und das Ergebnis stimmt zufrieden. :-)

    1. JA, das kenne ich, obwohl meine Grosseltern mir da was ganz anderes vorgelebt haben, die sich immer gegenseitig unterstütz haben und sehr respektvoll miteinander umgegangen sind.
      Aber bei deren Nachbarn, da herrschte immer Zucht und Ordnung (sehr zum Unwillen meines Opas) und eine ganz klare Hierarchie, in der der Mann eindeutig die Hosen anhatte und seine Frau in aller Öffentlichkeit runterputzte, wenn ihm danach war….

    2. Meine Oma, geboren 1900, hatte eine Ausbildung zur Speditionskauffrau. Später führte sie das gemeinsame Fuhrgeschäft, anfangs mit Pferd und Wagen, später mit LKW. Oma hätte sich sowas nicht gefallen lassen.

    1. Vermutlich hast Du da mehr als zweimal Fehler korrigiert.
      Dann rutschen die Kommentare in den Moderationsordner, weil WP neuerdings meint, sie enthielten dann Spam

  7. Nur kurz und bündig: ICH hätte mich wo anders hinsetzen müssen, um die Handtaschenlady nicht mehr zu sehen – die hätte mich zu sehr von den wunderschönen Dickkrobben abgelenkt – und das sollte nicht sein.

    1. Woanders hinsetzen war leider keine Option, denn das Schiff war relativ voll und ausserdem wollte ich den guten Platz (Pfeil) ganz hinten auch nicht aufgeben, der ideal zum fotografieren war – nach Backbord, nach Steuerbord und nach Achtern:

  8. So ein extremes Verhalten haben S und ich nicht zwar nicht an den Tag gelegt, aber wir verstanden uns oft ohne Worte.
    Interessant, die Mutter des Bräutigams merkte an, daß Witwer und ich schon sehr lange und gut kennen müssen. So gut wie wir wortlos harmonisiert hätten 😉
    🌈😘😎

    1. Wir verstehen uns auch ohne Worte – und das sollte nach ein paar Jahren des Zusammenlebens auch eigentlich selbständig sein.
      Allerdings würde ich von meiner Liebsten nie erwarten, mir alle Wünsche von der Stirn abzulesen oder gar mein mir nachlaufender Lagerverwalter und Assistent zu sein….
      Und auch die Worte Bitte und Danke kennen und benutzen wir beide. :yes:

Zu spät! Leider kannst Du hier nichts mehr anmerken.