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„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Wesselburener Impressionen

Guten Morgen an diesem sonnigen Freitag!

Manchmal ergeben sich schon komische Zufälle – wie etwa vorgestern, als wir mal wieder Richtung Norden unterwegs waren, damit die Liebste noch ein paar Vogelbilder in den Kasten bekommt.
Aber darüber wird sie nachher noch selbst berichten, zumal ich selbst nur noch selten eine Kamera in die Hand nehme und – zumindest in diesem Metier der Naturfotografie – schon lange kein glückliches Händchen mehr habe. Weshalb ich mich auch bei solchen Unternehmungen inzwischen mehr auf die Rolle des Chauffeurs, Beobachters und Begleiters in allen Lebenslagen beschränke, der allerdings langsam auch dem Virus der Ornithologie verfällt, auch wenn er das meisste Flattervieh nicht mit Vor- und Zunamen benennen könnte..

Aber darum soll es in diesem Beitrag ja auch nicht gehen, sondern viel mehr um eine kleine und mir bis dato völlig unbekannte, aber wirklich nette Anekdote aus dem Leben des Dichters Friedrich Hebbel, dessen Geburtsort im Dithmarscher Wesselburen wir eigentlich nur aus dem Grund einen Besuch abgestattet hatten, weil wir dort ein wenig bares Geld aus dem Automaten ziehen wollten.

Schliesslich mussten wir bei unseren Besuchen im Norden ja schon öfter die unschöne Erfahrung machen, das Kartenzahlung vielerorts nicht möglich ist und einzig Bares Wahres ist, wenn um den Erwerb eines kleinen Imbisses oder auch nur eines Bechers Kaffees geht :wacko:

Was uns ganz nebenbei auch noch in einen kleinen Kunstgewerbeladen führte, der sich direkt neben der Bank am Wesselburener Marktplatz befindet – und damit zum Erwerb eines schicken, wärmenden Hoodies für meine Liebste (gut zum Drunterziehen beim Rollerfahren) und uns gleichzeitig auch noch auf die Spur eben jener kurzen Geschichte führte, die ich weiter unten noch als Zitat im Volltext einfügen werde.

(Der gute F. Hebbel ist ja schon so lange tot, dass ich das einfach machen kann, weil die Geschichte inzwischen auch keinem Copyright mehr unterliegt).

Denn der Herr Hebbel hatte keinen Vogel, sondern ein zahmes Eichhörnchen als Haustier, zu dem er offenbar eine wirklich liebevolle Beziehung pflegte – was nicht nur Anlass für eben jene Anekdote war, sondern auch für die Stadt Wesselburen, seinen Namen und dieses Tierchen als Logo für ihr touristisches Marketing zu nutzen:

(Und übrigens auch als Kaufargument für den mit diesem Motiv bedruckten Hoody herhalten durfte, weil meine Liebste diese Tiere ebenfalls sehr mag, gerne und reichlich mit Nüssen versorgt und gelegentlich zum Motiv ihrer fotografischen Aktivitäten nimmt, falls sich gerade nichts Gefiedertes bietet.

Wunderbare Beispiele dafür gibts bei ihr ja einige zu sehen)

Also Anlass genug für mich, den zugehörigen Text mal als Ganzes zu suchen, nachdem schon einige mich sehr ansprechende Sätze daraus im Schaufenster des Wesselburener Tourismus-Vereines zu lesen waren…

-_-_-_-

Aber nun genug der Vorrede, lassen wir doch jetzt den Herrn Hebbel selbst zu Wort kommen und schauen uns an, was er – offenbar zusammengefasst aus mehreren Briefen – über seinen possierlichen Mitbewohner mit dem buschigen Schwanz zu erzählen hatte :

Das Eichhörnchen

Wir haben ein kleines Eichkätzchen, das uns allen unendliche Freude macht.

Wir drei – ich, meine Frau und das Kind – können mit ihm machen, was wir wollen. Es läßt sich alles gefallen, im Schlaf wie im Wachen. Aber wenn eine der Mägde sich ihm nähert oder es gar berührt, weist es sie durch die possierlichsten Töne des Unwillens und des Zorns zurück, und wenn das nicht hilft, bedient es sich seiner Zähnchen.

Größer geworden, nahm es, wie es mir des Morgens immer ins Bett gebracht wurde, regelmäßig an unserem Abendessen teil, kostete überall, speiste auf das zierlichste, trug in den ersten anderthalb Jahren, später nicht mehr, Nüsse und Zucker beiseite, schleppte oft eine ganze Semmel den Fenstervorhang hinauf und versteckte sie oben in der Brüstung, glitt dann wieder herunter, knäulte die Servietten in seinem Mäulchen zusammen, trug sie, eine nach der anderen, in den Schoß meiner Frau, stürzte sich zuletzt selbst hinein und bedeckte sich damit.

Dagegen sang es in der Frühe, beim Kaffee, so lieblich wie ein Vogel und modulierte die Stimme auf das mannigfaltigste. Wenn das Stück Zucker, das es zu seiner Semmel erhielt, zu groß war, trug es den Rest selbst in den Zuckerkasten zurück und vergrub ihn unter dem anderen Zucker. Dreimal war es mit in Gmunden. Dort schlief es das erste Jahr in seinem Käfig, der nachts vor meinem Bett stand und aus dem es des Morgens, die kleinen Arme auf die Tür gestützt, wie ein Müllerknappe hervorschaute, später in einem Wandkorb, auf den es gleich wieder zustrebte, als wir zurückkehrten. Setzte ich es in einen Baum, so kletterte es hinauf, sah sich um, probierte eine Zwetschge, betrachtete die Vögel, die es verwundert umkreisten, und glitt dann in meine Hand zurück. Setzte es sich auf die Erde, so hüpfte es auf dem gebahnten, mit Sand bestreuten Wege mit unendlicher Eile ins Haus zurück.

Mit diesem lieben Tierchen teile ich eben eine Haselnuß. Es hält sie im Mäulchen, ich beiße die Hälfte ab, es läßt es ruhig geschehen. Kann es weitergehen?

Wenn das Eichkätzchen reden könnte, welche wunderlichen Gedanken über Sonnenschein und Duft würden wir vernehmen?
Wenn Du mich jetzt schreiben sähest, würdest Du Deinen Spaß daran haben. Mein kleines Eichkätzchen will den Brief durchaus nicht zustande kommen lassen. Bald zupft es an der Feder, bald hüpft es über das Papier, und wenn ich das Tintenfaß nicht immer zudeckte, würde es gewiß seine Pfötchen hineintauchen und Dir ein Autograph mitschreiben. Hast Du je ein solches Tierchen in der Nähe gehabt? Ich kenne nichts Anmutig-Possierlicheres; wir haben das unsrige schon zwei Jahre, und es macht uns sehr viel Vergnügen, denn es ist so zahm, daß es die Hand leckt und hinterherläuft wie ein Hündchen.

……..

Der gestrige Tag war ein sehr trauriger für uns alle; unser Liebling ist verschieden, kaum drei Jahre und einige Monate alt. Erst zwei Tage bin ich von einer Reise zurück, alle meine kleinen Zwecke habe ich erreicht, eine neue, schönere Wohnung hat mich empfangen, aber ich wollte, das alles wäre anders und das liebe Geschöpf lebte noch. Wieder etwas vorüber, und diesmal etwas Himmlisch-Schönes, das so nicht wiederkehrt!

Das Tier war so einzig, daß es jedermann wie ein Wunder vorkam und mir wie eine Offenbarung der Natur. Ich werde nie wieder eine Maus oder auch nur einen Wurm zertreten, ich ehre die Verwandtschaft mit dem Entschlafenen, sei sie auch noch so entfernt, und suche nicht bloß im Menschen, sondern in allem, was lebt und webt, ein unergründliches göttliches Geheimnis, dem man durch Liebe näherkommen kann.

So hat das Tier mich veredelt und meinen Gesichtskreis erweitert. Wenn ich nun aber gar die Unsumme von Freude und Heiterkeit aufzählen sollte, die es für seine paar Nüsse und seinen Fingerhut voll Milch ins Haus brachte, so würden wir wie arme Schlucker dastehen, die ihre Schuld nie bezahlen können.

Gefunden hier: tierpark.lauftext.de

Ist doch irgendwie schön, oder?
Wobei ich schon beim Lesen der ersten Zeilen im Schaufenster ein wirklich buntes Kopfkino hatte, das mehr und mehr zum Staunen wurde, je mehr vom ganzen Text ich las. Denn das ist wirklich herzerwärmend und um so erstaunlicher, wenn man weis, mit welchen Inhalten sich Hebbel ansonsten abgegeben hat. (Wikipedia hilft da gerne weiter)

Ausserdem gilt das , was Hebbel da schreibt, ja ähnlich auch für andere pelzige Hausgenossen wie etwa unsere Katzen mit ihren vielen liebenswerten Eigenschaften, die fast die gleichen Gefühle in mir wecken und ohne die ich mir ein Leben ebenfalls nur schwerlich vorstellen könnte.
Denn auch die sind ja ein Wunder der Natur, ohne wenn und aber….


In diesem Sinne:
Habt einen feinen, sonnigen Tag – und bleibt auch heute gesund und behütet
Wir lesen uns :bye:

Euer Wilhelm,

für den die Entdeckung dieses Textes alleine schon den Besuch in Wesselburen wert war….


-967-

- 4 Bemerkungen zu “Wesselburener Impressionen

  1. Ein Hörnchen als Haustier… das hätte ja mal was :-) Aber ich glaube, das wäre mir zu unruhig. Vermutlich würden wir es bei uns ständig suchen.
    Eine schöne Liebeserklärung von Herrn Hebbel. Ich mag diese Tierchen ja auch sehr. Leider hat sich gestern keines gezeigt, als ich im Park war. :cry:

    1. Nee, ein Eichhörnchen in der Wohnung, das würde ich auch nicht wollen.

      Schon weil wir ihm nicht dass bieten könnten, was die Eichhörnchen draussen als Umfeld haben – frei, dahin zu gehen, wohin es ihnen beliebt.
      Ganz anders eben als unsere Tiere, die ja auch über Generationen hinweg domestiziert sind und sich hervorragend an das Zusammenleben mit Menschen angepasst haben.

      Dennoch hab ich viel Sympathie für das, was Hebbel schreibt (und wir wissen ja auch gar nicht, wie er zu diesem Familienmitglied gekommen ist) – und für Eichhörnchen sowieso ;-)

  2. Man hat ja schon von in Geschäften randaliernden Hörnchen gehört, in die es hineingeraten war und dann den Ausgang nicht finden konnte. Das Hörnchen des Herrn Hebbel war dagegen ja sehr friedlich und häuslich. Putzig sind sie allemal. Ich möchte mir aber nicht die Raserei vorstellen, wenn sich eins in unsere Wohnung verirren sollte. Hörnchen und Katzen würden sich wohl nicht gut vertragen. Die langaufgeschobene Renovierung wäre dann wohl notwendig.

    1. Tja, da kenne ich auch einige Berichte und Youtube-Clips, wo sich die kleinen hübschen Hörnchen als wahre Racker oder sich gar als regelrechte Terroristen präsentieren – und trotz allem nichts von ihrer Liebenswürdigkeit verlieren :-)

      Dennoch – wie oben schon geschrieben:
      Als Haustier wollte ich sie trotzdem nicht, denn auch bei uns würde das wohl ordentlich Rabatz im Kettenkasten geben, wenn Herr und Frau Katz‘ sich dran erinnern, dass sie eigentlich Raubtiere sind und sich eine Chance ausrechnen, diese Seite ihrer Persönlichkeiten auch mal ausleben zu können…..

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