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„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Weitlings Sommerfrische – Roman

Moin zusammen!

Und noch ein Buch, das ich vor Jahren schon mal angelesen, dann weg gelegt und nun endlich ganz gelesen habe – ein Roman mit einer ganz besonderen Geschichte:

Weitlings Sommerfische
von Sten Nadolny

Beginnt es doch relativ alltäglich mit einem Urlaubserlebnis des pensionierten Richters Wilhelm Weitling in seinem Domizil am Chiemsee (dem Ort seiner Kindheit), der mit sich und seinem Leben eigentlich ganz zufrieden ist, aber doch das Gefühl hat, im Leben irgendwas verpasst zu haben – um dann im Verlauf einer Bootsfahrt eine ganz besondere Wendung zu nehmen:
Weitling erlebt mit einem Unfall bei dieser Bootsfahrt im Sturm ein Deja Vu und findet sich anschliessend als „Geist“ in seiner eigenen Jugend wieder, als stiller und aller Einflussnahme unfähiger Begleiter seines Jugendlichen Ichs, mit dessen Verhaltensweisen er gelegentlich alles andere als einverstanden ist.
Wobei er auch feststellen muss, dass sich seine Erinnerungen an diese Zeit in manchem Punkt nicht mit dem decken, was dem jugendlichen Wilhelm widerfährt und dass sich nun manches ganz anders entwickelt, als es eigentlich hätte sein müssen.
Was – ganz logisch – natürlich auch Auswirkungen auf Weitlings Zukunft haben könnte und möglicherweise sein Leben einen ganz anderen Verlauf nehmen lassen würde….

Und genau das ist auch passiert, wie der alte Wilhelm Weitling feststellen muss, als es ihm nach Monaten als Geist endlich gelingt, wieder in die „Jetzt-Zeit“ zurückzukehren, in der die Zeit derweilen einfach stehen geblieben ist:
Denn satt Richter zu sein ist er nun plötzlich Schriftsteller und nicht kinderlos geblieben, sondern stolzer Vater einer erwachsenen Tochter und Grossvater einer bezaubernden Enkelin. Beides Dinge, von denen er in seinem ursprünglichen Leben nur geträumt und eigentlich abgeschlossen hatte….und mit denen er sich nun erst mühsam arrangieren muss

Was nun tatsächlich eine Geschichte ist, die mir ausgesprochen gut gefallen hat, zumal Nadolny sie sehr behutsam und mit viel Empathie seinen handelnden Personen gegenüber erzählt, besonders in der Phase, in der der alte Weitling zum stillen Begleiter seines jugendlichen Ichs wird und zu begreifen beginnt, was ihn selbst damals umgetrieben hat.
Denn das hat natürlich auch etwas mit „Verzeihen können“ zu tun und mit der Erkenntnis, dass vermeintliche eigene Fehler möglicherweise doch keine Fehler waren… auch wenn am Ende doch etwas anders dabei herauskommt, als das, was man erwartet hat.

Was auch diesem Satz vom Anfang des Buches eine ganz neue Bedeutung gibt,den ich neulich schon mal als Zitat in einem Beitrag verarbeitet habe:

»Sicher ist, dass ich im Leben ein paar grundlegende Dinge nie begriffen habe,
und ich weiß nicht einmal, welche.«

Denn am Ende ( und darauf kommt es ja auch an) weis der alte Weitling ja, was er nicht begriffen (vulgo: falsch gemacht) hat in seinem alten Leben. – und ist damit auch versöhnt, selbst wenn ihn die unerwarteten (und trotzdem willkommenen) Veränderungen (und damit die Erfüllung seinen geheimsten Träume) zeitweise aus der Bahn zu werfen drohen (weil er sich an viele Dinge des veränderten Lebens nicht erinnern kann, sondern über lange Phasen immer noch die Erinnerungen des Richters Weitling in sich trägt).
Was zu einem weiteren „Begreifen“ führt: Nicht zu hadern, sondern die Dinge so zu nehmen, wie das Leben sie einem gibt.

Womit insbesondere der letzte Teil des Buches (und damit der Weitlingschen Lebensgeschichte) auch gelegentlich sehr philosophisch daher kommt und mehr als einmal die Frage nach dem Sinn des Lebens und nach der Dauerhaftigkeit weltanschaulicher Einstellungen aufwirft, deren Anlagen zwar in der Jugend gelegt wurden, die sich aber durch die unterschiedlichen Lebensläufe des Richters und des Schriftstellers Weitling nun in ganz anderem Licht darstellen und in beiden Leben nicht immer unbedingt deckungsgleich sind – obwohl die zugrunde liegenden Werte sich nicht unterscheiden.
Was teilweise wohl eine Frage des Zufalles war, sich aber anderseits auch durch die sehr unterschiedliche Denkweise erklärt, die der sehr schematisch agierende Richter und der eher freigeistige Dichter im Lauf der Zeit entwickelt haben – der eine bei der Berufswahl vermeintlichen Zwängen folgend und der andere seinen Neigungen nachgebend und mehr aufs Herz als auf den Verstand hörend.
Beides mögliche Wege, wie der Dichter Weitling zum Ende hin resümiert – und auch keiner davon falsch, selbst, wenn ihm das geschenkte und ungewohnte neue Leben weitaus lebenswerter scheint als das eingefahrene alte des Richters Weitling, in das er sich trotzdem gelegentlich zurück sehnt.

Für mich der spannendste Teil des Buches, weil sich damit auch die Frage verknüpft, wie das wohl im eigenen Leben gewesen wäre, wenn sich manche Weichen anders gestellt hätten.

Auch wenn das zwangsläufig eine rein hypothetische Überlegung bleiben muss, denn letztendlich kann ja keiner von uns im Nachhinein noch etwas am eigenen Leben ändern…

Und dennoch muss ja nichts bleiben, wie es ist, denn neue Erfahrungen und Erkenntnisse sind ja dennoch möglich – und können durchaus auch an mancher Stelle zur Änderung der eigenen Sichtweise führen…
Wie Weitlings Beispiel zeigt, dem am Ende doch gelingt, eine Symbiose aus den Erinnerungen beider Leben zu finden, damit zufrieden zu leben und versöhnt zu streben.

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Doch wie auch immer – und damit kommt, was Ihr vielleicht schon ahnt:

Von mir bekommt dieses Buch „die Volle Punktzahl“ nicht nur seines Inhaltes wegen (von dessen Art ich gerne noch mehr lesen würde) sondern auch, weil mir Nadolnys Stil und durchgängig sehr humorvolle Ausdrucksweise sehr gefallen und es ihm (ähnlich wie mit seiner „Entdeckung der Langsamkeit„) mit diesem Buch wieder einmal gelungen ist, mich förmlich zu fesseln, so dass es sicher ein Highlight dessen ist, was ich bisher in diesem Jahr gelesen habe….

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Der Klappentext:

In einem Sommergewitter kentert das Segelboot des angesehenen Berliner Richters Wilhelm Weitling. Er kommt nur knapp mit dem Leben davon, muss aber feststellen, dass ihn sein Unfall fünfzig Jahre in die Vergangenheit zurückgeworfen hat. Neugierig, aber auch mit sanfter Kritik begleitet er den Jungen, der er einmal war, durch die Tage nach dem Sturm. Wer ist er damals gewesen? Und wie konnte aus diesem Menschen der werden, der er heute ist? Muss er die Erinnerung an seine Eltern, seine erste Liebe, seine Berufswahl, sein ganzes Leben revidieren? Und wird er zu seiner Frau und in sein altes Leben zurückkehren dürfen?

Sten Nadolny entführt uns auf eine philosophische Zeitreise, die seinen scharf beobachtenden Helden zu unverhofften Erkenntnissen führt.

Amazon

Bleibt noch, Euch auch heute einen wunderbaren Tag zu wünschen und – wie immer – dass ihr auch weiter gesund und behütet bleibt.
Wir lesen uns :bye:

Euer Wilhelm,

der sicherlich noch mehr von Sten Nadolny lesen wird……..


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