– – tageweise unsortiertes – –
„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Damit es nicht in Vergessenheit gerät

Schon seit ein paar Tagen denke ich darüber nach, was ich dieses Jahr zu einem Ereigniskomplex schreiben könnte, zu dem ich beinahe in jedem Jahr einen Blogbeitrag geschrieben habe, seit ein Teil meines Lebens sich in Bloggersdorf abspielt.

Gemeint sind die Ereignisse in den Nächten vom 9. und 10. November 1938, die als Teil der Novemberprogrome als „Reichsprogromnacht“ oder – beschönigend: – als „Kristallnacht“ in die Geschichtsbücher eingingen:

Damals galt es in Deutschland als fein, eine komplette Bevölkerungsschicht, die Juden, gesellschaftlich auszugrenzen und zu diffamieren, weil eine Regierung von Verbrechern dies so propagierte und grosse Teile der Bevölkerung es völlig kritiklos übernahm.
Das fing schon 1933 kurz nach Hitlers Machtergreifung an – mit solchen Sätzen wie „man kauft nicht bei Juden“ – und nahm seinen vorläufigen Höhepunkt ein knappes Jahr vor Beginn des 2. Weltkrieges, also heute vor 83 Jahren, als in Deutschland die ersten Synagogen brannten und Menschen jüdischen Glaubens während schwerer Progrome ihr Hab und Gut verloren oder gar Gesundheit und Leben lassen mussten.

Auch die grosse Hamburger Synagoge im Grindelviertel fiel in diesen unseligen Novembertagen 1938 dem rassistischen Wahn der Nazis zum Opfer:

Sie brannte einen Tag später, am 10. November aus , während in der gleichen Nacht in ganz Hamburg zahlreiche jüdische Geschäfte verwüstet, jüdische Menschen gehetzt und ermordet – und in der Folge die jüdische Gemeinde auch noch auf höhnische Art und Weise für den Abriss und die Entsorgung der Trümmer zur Kasse gebeten wurden.

Die brutalen Übergriffe auf die jüdische Bevölkerung finden in der Hansestadt zum großen Teil am Nachmittag und Abend des 10. November statt. Nationalsozialisten zerstören die Neue Dammtor-Synagoge. Gegen 19 Uhr wird in der Leichenhalle auf dem jüdischen Friedhof in Harburg ein Brand gelegt. Schaulustige versammeln sich und behindern die Löscharbeiten der Feuerwehr: Die Halle brennt bis auf ihre Grundmauer nieder.
……..
Die Zerstörer setzen auch die Haupt-Synagoge am Bornplatz in Brand. Später muss die jüdische Gemeinde die Trümmer auf eigene Kosten abtragen.
…….
1988 sagt ein Zeitzeuge dem „Hamburger Abendblatt“: „Ich sah die Flammen aus der Grindelhof-Synagoge schlagen. Davor brannte ein Haufen jüdischer Gebetbücher und Thora-Rollen. Am abstoßendsten fand ich die Gesichter der SA-Männer, die von der brennenden Synagoge angestrahlt wurden. Ich hatte den Eindruck, die Männer waren davon überzeugt, etwas besonders Gutes zu tun.“

www.ndr.de/geschichte

Was darauf folgte, wissen wir alle:
Die Ausgrenzung setzten sich fort, Menschen jüdischen Glaubens wurden jeden Schutzes des Staates beraubt, in dem sie lebten, wurden ausgeplündert, schlussendlich wie Vieh zusammen getrieben und in unmenschlicher Weise in Lager gepfercht und ermordet…

-_-_-_-

All das darf nicht in Vergessenheit geraten, auch wenn die letzten Zeitzeugen dieser Ereignisse immer weniger werden und nicht mehr davon berichten können.

Deshalb ist es um so wichtiger, dass wir als Kinder- und Enkel-Generation der Täter jetzt die Verantwortung übernehmen und weiter davon erzählen, um solche Taten in Zukunft zu verhindern…. Besonders in dieser Zeit, wo Alltagsrassimus uns (nicht nur in den „sozialen Medien“) auf Schritt und Tritt begegnet und Judenhass immer wieder deutlich hervortritt und auch zu neuen Gewalttaten aus den gleichen Motiven heraus führt, wie sie damals schon eine Rolle gespielt haben….
Man denke nur an das Attentat in Halle vor zwei Jahren oder die immer wieder erschreckenden Angriffe auf Menschen, die an ihrer Kleidung oder ihrem Schmuck als Juden erkennbar sind.
Oder, wie gerade vor ein paar Tagen: an die Vorgänge in dem Hotel in Leipzig, bei denen ebenfalls Judenhass eine Rolle gespielt haben soll, wenn es denn stimmt, was der betroffene Sänger berichtet.

Und selbst, wenn nicht:
Die ersten Reaktionen im Netz auf diese Meldung waren schon voller Hass, bevor überhaupt belegbare Zweifel an Ofarims Darstellung laut wurden – und das alleine ist schon schlimm genug…..
Zeigt es doch, dass es immer noch Menschen gibt, die ihren Rassismus höher stellen als jedes Argument, was für den Wahrheitsgehalt von Ofarims Video hätte sprechen können.
Dumm halt nur, dass die im Nachhinein wohl doch Recht behalten…. denn die Glaubwürdigkeit des Sängers ist ja durch mehrere Zeugenaussagen inzwischen heftig erschüttert.

Dennoch zeigt sich hier ein Grundproblem unserer Gesellschaft, denn der „moderne Rassissmus unserer Zeiten“ trifft ja jetzt nicht mehr nur die Juden, sondern auch viele andere Gruppen wie Flüchtlinge, wie Menschen muslimischen Glaubens, wie Ausländer allgemein – und im Zusammenhang mit Corona je nach Perspektive die „Geimpften“ oder „Ungeimpften“, die zum Opfer öffentlichen oder unterschwelligen Hasses werden, bei dem Sachargumente keine Rolle mehr spielen, sondern pure Stimmungsmache das Ziel ist – mit tiefen Rissen in der Gesellschaft als Folge und gelegentlichen heftigen Entladungen durch Gewalttaten einzelner Täter

Um so mehr gilt aber, auch heute noch solchen Hassparolen zu entgegenzutreten und die Erinnerungen an die Progrome vor 83 Jahren wachzuhalten.
Weil so etwas nie wieder passieren darf!
Weder den Juden noch allen anderen Menschen.

-_-_-_-

Bleibt zum guten Schluss aber noch zu berichten, dass nun, über achtzig Jahre nach Zerstörung der alten Bornplatz-Synagoge an ihrer Stelle eine Neue gebaut werden soll.
Wobei zwar noch in Frage steht, ob der Neubau eine Kopie des alten Gebäudes werden oder etwas ganz neues auf dem leeren Platz entstehen soll, wo über lange Jahre nur der Grundriss der alten Synagoge durch eine spezielle Pflasterung erkennbar war – eingeklemmt zwischen einem alten Bunker, einer Schule und einem Gebäude der Uni:

Wichtig ist, dass dort – mitten im alten Zentrum jüdischen Lebens in Hamburg – ein neues Gotteshaus für die jüdische Gemeinde gebaut wird – und gut ist, dass darüber im Grundsatz über alle Parteien hinweg Einigkeit besteht, auch wenn über das „wie“ noch diskutiert wird.

Was sicherlich auch gut und richtig ist, wenn man sie die Argumente für oder wider eines Wiederaufbaus des alten Gebäudes ansieht.

Denn:
Dass es des eine neue Synagoge geben wird ist nun sicher – und es gibt Hoffnung, dass sich doch etwas zum Positivem verändert, auch wenn man daran gelegentlich zweifeln kann…


Habt trotzdem einen schönen Tag – und bleibt gesund und behütet!
Wir lesen uns – und dann auch wieder mit etwas erfreulicherem :bye:

(dem es ein Bedürfnis ist, wenigstens ein kleines Stückchen der Erinnerung an diese schrecklichen Zeiten weiterzutragen)


-426-

- 19 Bemerkungen zu “Damit es nicht in Vergessenheit gerät

  1. Mir macht große Sorge, dass viele Menschen, besonders die jüngere Generation, ein falsches Bild vermittelt bekommt. Ein Bild, das den Antisemitismus relativiert, wie es gerade in der Querdenkerszene geschieht. Genau darüber habe ich dann vor meiner Blogrunde in der Tagesschau-App gelesen. Wenn sich erst einmal der Gedanke in vielen Köpfen manifestiert, dass, wie auf dem Foto der Tagesschau zu sehen ist, der Bevölkerungsschutz unserer Regierung gleichzusetzen ist mit der Verordnung zum Schutz für Volk und Staaten unter Hitler, dann ist in diesen Köpfen der Schalter für Antisemitismus bereits umgelegt. Da hilft oft auch keine Diskussion, dass hier und jetzt ALLE Menschen ohne Ansehen von Geschlecht, Ethnie oder Glauben gleich behandelt werden (gut, an der Umsetzung muss noch viel nachgebessert werden), unter Hitler aber nur eine Ethnie, der Arier, ein Lebensrecht hatten. Die Pandemie hat sehr deutlich gemacht, dass Antisemitismus weitaus verbreiteter ist, als befürchtet wurde. Er ist laut und sichtbar geworden.
    Ich habe eine Freundin, die mir erzählte, wie sie sich bei einer Stolpersteinverlegung für eines der vielen Opfer in ihrer Familie, in diesem Jahr unsicher fühlte. Es ist nichts geschehen, die Feierlichkeit verlief ohne jede Störung. Aber wie weit ist es gekommen, dass Menschen jüdischen Glaubens sich bei uns nicht nur unwohl fühlen, sondern sogar Angst haben müssen? Für mich war es seit Kindesbeinen so, obwohl mich das nicht meine Eltern gelehrt haben, dass alle Menschen gleich sind. Und immer noch, kurz vor Vollendung des siebten Lebensjahrzehnt, will es mir nicht in den Kopf, dass nicht alle Menschen so denken und fühlen.
    Danke für deinen Beitrag!
    Liebe Grüße,
    Elvira

    1. Über ähnliche Gefühle bei Teilnehmern an Stolpersteinverlegungen habe ich auch schon gelesen – wie auch, dass jüngere Menschen zum Teil fast keine Ahnung haben, was sie bedeuten.

      Und es stimmt ja auch: je weiter wir uns von den Zeiten des dritten Reiches entfernen, und je weniger Zeitzeugen es gibt, um so schwieriger wird es auch für die nachfolgenden Generationen, wirklich zu realisieren, was damals passiert ist. Mehr als die Schilderungen aus Geschichtsbüchern kommt da meist nicht mehr an – und der Abstand ist inzwischen so gross, dass auch die Zeit von vor hundert Jahren schon so weit zurück liegt wie der dreissigjährige Krieg oder die Schlacht am Teutoburger Wald – Die Zeit zwischen 1933 und 1945 wird also in den Köpfen zu einer Episode unter vielen anderen, zu denen es auch keinen direkten Bezug mehr gibt.

      Wobei wir Kinder der 50er und 60er Jahre ja noch das „Glück“ hatten, durch Eltern, Grosseltern und andere Zeitzeugen darüber etwas von Menschen zu erfahren, die in dieser Zeit gelebt haben. Alltagserlebnisse zumeist, aber auch – wie ich durch den Beruf und Freunde meines Vaters – schon sehr früh auch etwas über Themen wie Euthanasie oder die bekennende Kirche als Widerstandsorganisation. Was natürlich viele Fragen nach dem „Warum“ aufwarf.

      Und sicher jeder von uns wird auch Menschen kennengelernt haben, die auch die Täterseite repräsentierten, hat also ein Bild davon, wie Altnazis und ihre Einstellungen damals immer noch prägend für vieles waren, was unseren Alltag bestimmt hat….
      Wie beispielsweise ich mit einem meiner Lehrer, der die Parolen der Hitlerjugend zu seinem Lebensmotto gemacht hatte und im Unterricht selbst Mitte der 70 Jahre noch umsetzte. (Hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder usw….)
      Oder wie mit meinem Grossvater, der als Mitläufer und kleines Licht in der Nazi-Hierarchie nie seine Mitschuld erkennen konnte, aber bis zu seinem Tot über die verlorene pommersche Heimat getrauert hat….

      All das ist prägend für unsere Generation, aber sicher nicht mehr für unsere Kinder und Enkel…. die heutzutage mit ganz anderen Themen konfrontiert sind.
      Insofern wundert mich auch nicht, dass die Schrecken der Nazi-Zeit von vielen jungen Leuten einfach ausgeblendet werden, während Hitler und seine Gefolgschaft in manchen Gruppen zunehmend glorifiziert werden, wie sich in den rechten Tendenzen bei der Bundeswehr zeigt…. oder im zweifelhaften Erfolg solcher Parteien wie der Kackblauen, die Rasssimus wieder salonfähig machen.

      1. Danke für deine ausführliche Antwort auf meinen Kommentar. Das ist etwas, das mich sehr beunruhigt. Dieses Thema kehrt immer wieder und darf niemals totgeschwiegen werden.

  2. Lieber Wilhelm, danke für deinen Artikel, der „erdet“ mich heute gewaltig. Ich war so unendlich wütend, weil ich für zwei Sendungen große Vorbereitungen in der Wohnung gemacht habe, aber dann von 8.00 Uhr bis 20.00 Uhr OHNE ERGEBNIS gewartet habe. Keine Nachricht, kein Bescheid, keine der beiden Sendungen kam an. – Aber deine Zeilen zeigen mir, es gibt bzw. gab in deinem beschriebenen Text so viel Schlimmeres – da ist das bei mir eine reine Lappalie.
    Nicht nur den seit Jahren extrem zunehmenden Judenhass finde ich so beängstigend, sondern auch die neue Form der Hetze und Ausgrenzung. All die angezündeten Asylbewerberunterkünfte sprechen ihre eigene Sprache. Uns Deutschen geht es überwiegend gut bis sehr gut – aber das wollen die meisten nicht mit anderen teilen, noch nicht einmal mit diesen Menschen, die in ihrer Heimat von Krieg oder extremem Hunger betroffen sind.
    Nachdenkliche Grüße von Clara

    1. Genau das ist der Punkt:
      Der Alltagsrassismus, der überall bemerkbar ist.

      Wobei es aus meiner Sicht noch ein Unterschied ist, ob davon nun Flüchtlinge betroffen sind oder ob sich die Rassisten auf die Menschen jüdischen Glaubens fokussieren und damit die alten Parolen weitertragen und am Leben erhalten, die Juden „für alles Übel dieser Welt“ verantwortlich machen.

      Beides ist schlimm, ohne Frage – allerdings werden die Migranten und ihre Kinder in Zukunft mehr und mehr zum alltäglichen Bestandteil unserer Gesellschaft werden ( ähnlich, wie es die ersten „Gastarbeiter „auch geworden sind), während die jüdischen Teile der Bevölkerung durch das Tradieren der schon seit Jahrhunderten „gepflegten“ und durch die Nazis hochstilisierten Ausgrenzung aus ihrer „Sonderrolle“ nicht herauskommen, obschon sie ein fester, genuiner und eher unauffälliger Bestandteil unserer Bevölkerung sind.

      Und das macht mir wirklich Sorge – zumal es eigentlich in einer wirklich funktionierenden Gesellschaft ohne Belang sein sollte, was ein Mensch glaubt, wo er her kommt und welche Hautfarbe er hat.

      Mensch ist Mensch, alles andere spielt keine Rolle….. so einfach sollte das sein.

      1. Ganz sicher hast du recht, aber in meinem Umfeld kenne ich nur einen Halbjuden, schon ziemlich alt, der Vater war Jude und die Mutter nicht. – Mein Kontakt zu ihm war nie so gut, dass ich ihn hätte fragen können, ob er als Schulkind Restriktionen ausgesetzt war.
        Die Deutschen – vielleicht auch noch viele andere – sind offenbar der Meinung, ihre Mitmenschen müssten genau so sein wie sie selbst. Und da passen eben die Begriffe Jude, Syrer, Schwuler, Türke, Lesbe nicht rein. Offensichtlich nutzt es bei uns nicht, dass einige der Zugehörigen zu oben aufgezählten Gruppen in unserer Regierung sind – nein, sie sind eben nicht treudeutsch und treudoof.

        1. Ich hatte ja das Glück ( in dem Fall durchaus so gemeint, wie ich es schreibe), während meiner fast zwanzig Jahre in der ambulanten Pflege hinter viele Wohnungstüren blicken und und die Besitzer der Wohnungen kennen zu lernen. Dabei bin ich Menschen aus vielen Kulturkreisen begegnet, woraus einige Gruppen tatsächlich heraus stachen – auf negative Art:

          Zum einen (natürlich) die „Treudeutschen“ – zumeist alte Männer mit HJ-Sozialisation, die sich als äussert unflexibel und intolerant zeigten, insbesondere jüngeren Kolleg*Innen gegenüber, wenn diese erkennbar ausländische Wurzeln hatten – oder (Gott bewahre) auch noch Tätowierungen. Und selbst ich als „alter Knacker“ musste mir von denen noch die Frage gefallen lassen, ob ich gedient hätte und wo… was denn auch prompt zu Irritationen führte, wenn ich mich als ehemaliger Zivi zu erkennen gegeben habe….

          Die zweite (wenn auch deutlich kleinere) Gruppe, wo es häufiger ähnliche Probleme gab, waren sinnigerweise türkische Mitbürger der sehr konservativen Art…
          Da funktionierte der Rassismus dann andersrum und nicht-türkische Pflegekräfte wurden gemobbt oder anderweitig drangsaliert, besonders die Frauen in unserem Team.

          Und die dritte (auch kleine) Gruppe waren Menschen mit Wurzeln in Russland, die als „Spätaussiedler“ zu Kohls Zeiten hier eingewandert sind. Da gab es auch einige extrem rassistische und erzkonservative Kandidaten drunter, die äusserst unangenehm waren…

          Komischerweise beschränken sich meine extrem negativen Erfahrungen bei der Arbeit tatsächlich auf Angehörige dieser drei Gruppen -mal abgesehen von den üblichen Angängen, die es mit teils dementen – alten Menschen schon mal gibt, unabhängig von Herkunft oder Religion….

          Andersrum gibt es aber auch zwei Gruppen, die mir immer wieder sehr positiv aufgefallen sind, wozu auch die wenigen Menschen mit jüdischem Glauben gehören, die ich betreuen durfte:

          Denn die waren durchgängig sehr zugewandt, dankbar und sehr freundlich und haben in der Regel keine grosse Sache aus ihrer Religion und ihren Erlebnissen zu Adolfs Zeiten gemacht – so dass es unter Umständen sehr lange gedauert hat, bis uns Pflegekräften das überhaupt klar war.
          Oft auch nur, weil in der Wohnung an prominenter Stelle eine Menorah oder irgendwo im Schrank ein Talmud stand….oder (das habe ich in den zwanzig Jahren drei mal erlebt) sie eine Häftlingsnummer auf den Arm tätowiert hatten, die uns bei der Grundpflege auffiel….
          Was manchmal (wenn sie selbst darüber sprechen wollten) Anlass zu Gesprächen gab, meist aber eben auch nicht.

          Und so sollte es ja auch sein – wie eben bei allen anderen Kunden auch.

          Bleibt noch zu ergänzen, was die zweite mir sehr positiv aufgefallene Gruppe ausmacht:
          Das waren die „typischen Hamburger Muddi’s“, meist Arbeiterfrauen und „alte Sozis“ mit Kodderschnauze und Herz auf der Zunge, bevorzugt auch noch mit Kittelschürze als Alltagskleidung.
          (das mag zwar jetzt etwas Klischeehaft klingen, aber diesen Typ Frau gibt es wirklich, wenn auch – leider- als „aussterbende Art“ :-) )

          1. Danke, danke, danke. Ganz so rumgekommen bin ich leider nicht. Zu DDR-Zeiten war mein Mann auch Wehrdienstveweigerer, aber da gab es ja nicht als Ausgleich die Zivis (oder vielleicht hätte die es gegeben), sondern er war Bausoldat – ohne Waffe. Und da er Dipl. Bau-Ing. war, konnten sie ihn bei den Bauprojekten auch gut gebrauchen.
            Der Sohn, Jahrgang 71, hat dann wirklich Zivi auf dem Friedhof gemacht.
            Ich kam durch meine „Ehrenamts-Arbeit“ beim Großelterndienst in sehr viele Haushalte – aber die waren mehr oder weniger alle ähnlich gestrickt.
            Das mit den sehr freundlichen Juden kann ich mir gut vorstellen.
            Auch das mit den intoleranten Türken, die hier in manchen Städten fast ein Staat im Staat sind, wie die Chinesen in Amerika.
            Und die eingewanderten Russen kann ich mir wirklich sehr penetrant vorstellen – auch sehr judenfeindlich, denn so waren sie es ja aus Russland gewöhnt.
            Und tschüss!

  3. Ich habe vorhin allen Ernstes unter einem Post zum Gedenken die Frage gelesen, was das denn war, die Progrome….. da fällt mir dann nix mehr zu ein.

    1. Da haben wir uns ja gestern Abend noch drüber unterhalten….
      Und ein Stück weit steckt meine Antwort dazu in meiner Antwort auf Elviras Kommentar.

      Wobei ich mit Dir einer Meinung bin, was die Unwissenheit in der angesprochenen Frage nach „Progromen“ betrifft.
      Da ist wohl in der Schule irgendwas falsch gelaufen bei der Fragestellerin…

    2. Jetzt habe ich extra gegoogelt, ob es Pogrom oder Progrom heißt, weil ich mir auch unsicher war. Aber Wikipedia und alle anderen haben sich für „Pogrom oder Pogrome“ entschieden. Ich will jetzt aber nicht annehmen, dass diese Person, die mit dem Begriff nichts anfangen konnte, das wegen dem zu vielen „r“ nicht wusste – ist ein schlechter Scherz!

  4. NEIN !!! ES DARF NICHT VERGESSEN WERDEN !!!

    Ich bin vor Jahren als der letzte Zeitzeuge bei uns noch lebte in dessen Vortrag bei der Volkshochschule gewesen und habe unter seiner Leitung eine Stadtführung mitgemacht in der er uns berichtet hat, was innerhalb der Stadt den Juden angetan wurde was u.A. Besitztum anging Geschäftshäuser und so weiter.
    Anschließend habe ich dann den gleichen Vortrag und die gleiche Begehung mit meinem Sohn gemeinsam noch mal besucht er hatte großes Interesse und ich finde es sehr wichtig, dass jede Familie dieses schreckliche Thema weiter trägt wir dürfen uns nicht nur auf die Öffentlichkeit und die Schulen verlassen.
    Unser Vater hat uns auch vor Jahren über diese schreckliche Nacht berichtet.
    Bei uns gibt es keine Synagoge mehr warum keine neue aufgebaut wurde ist mir allerdings nicht bekannt. Es gibt für die Alte Synagoge eine Gedenkstätte.
    Das Friedensforum in unserer Stadt veranstaltete heute eine Gedenkstunde.

    1. Gedenkstunden alleine werden nicht genügen., wenn nicht auch immer wieder drastisch auf das aufmerksam gemacht ist, was damals passiert ist.
      Denn wer ausser uns „Alten“ geht denn schon zu Gedenkstunden?

      Und wenn ich „aufmerksam machen“ schreibe, dann muss das da stattfinden, wo auch die „Jungen“ zu finden sind:
      Auf Instagramm,Tiktok, Netflix usw. zum Beispiel – und nicht so betulich, wie es in der aus heutiger Sicht eher zaghaften „Holocaust“-Serie war, sondern mit Bildern und Geschichten, die auf die Zielgruppe ausgerichtet sind….
      Damit könnte man dann vermutlich wesentlich mehr erreichen als mit mahnenden Worten in Gedenkstunden.
      Und es gibt sogar schon ein lobenswertes Beispiel dafür, dass es so funktioniert:

      Das Sophie-Scholl-Projekt des SWR auf Instagramm.

      Damit wurden in kurzer Zeit fast 800.000 Menschen erreicht und die Tendenz ist immer noch steigend…

      1. Wenn ich hier geschrieben habe dass bei uns eine Gedenkstunde stattfindet bedeutet das bei uns nicht mal eben ein kleiner Erinnerungsspruch…
        Hier ist ein Verein tätig, der viel sinnvolles erarbeitet und innerhalb der Generationen an Arbeit leistet. Ich denke nicht, dass ich hier in dieser Blog Seite weiter über die arbeit dieses lokal arbeitenden Vereins schreiben möchte. Wichtig ist mein Hinweis bei uns passiert was!!! nicht mal eben so sondern mit ganz viel aktiver Arbeit und mit vielen aktiven Menschen dahinter da müssen wir uns alle fragen „was tun wir selbst fuer diese Thematik “ außer dass wir hier schreiben“ wo ist jeder von uns aktiv?

        1. Ich habe Gedenkstunden überhaupt nicht in Frage gestellt – Im Gegenteil sind sie richtig und wichtig als Teil einer Erinnerungskultur für unsere Generation.

          Allerdings sollte man an dieser Stelle auch weiterdenken und sich überlegen, wie man die Zielgruppe der jungen Leute erreicht, die mit solchen Veranstaltungen nichts mehr anfangen kann, weil der eigene Bezug zu den Ereignissen fehlt und – wenn überhaupt – ein Wisssen darüber nur noch aus Dritter Hand vermittelt werden kann…

          Denn schliesslich sind es auch die Jungen Leute, die diese Erinnerungskultur irgendwannn weiter tragen werden, wenn es ihnen wichtig genug erscheint, die Werte weiterzugeben, die darin verankert sind.
          Und ich glaube kaum, dass das mit Gedenkveranstaltungen alleine zu erreichen ist, wenn nicht auch andere Wege gefunden werden, über die junge Leute angesprochen und für dieses Thema interessiert werden können.
          Denn es geht ja nicht nur um ein ehrenvolles Gedenken, sondern auch um die Emotionen, die damit verbunden sind. Denn die werden schlussendlich ausschlaggebend sein, wenn es gilt, der zunehmenden Hitler-Glorifizierung und dem Rassismus etẃas wirkungsvolles entgegen zu setzen.

          Und das wird nun mal am Einfachsten über die neuen Medien gehen, wo die jungen Leute zu finden sind – und auch nur, wenn man sich dabei auf ihre Art der Kommunikation einlassen kann.
          Dann werden sie darüber reden und dann werden sie verstehen und selbst aktiv werden.

          Ähnlich wie es seinerzeit die Holocaust-Serie im Fernseher für meine Generation geschafft hat, dass darüber wieder geredet und gehandelt wurde. Auch von Menschen, die lange nach dem Krieg geboren waren und bis dahin wenig Interesse an dem hatten, was kaum 30 Jahre zuvor passiert war.

          Aber auch diese Serie wäre – obschon damals heiss diskutiert -heutzutage wohl eher ungeeignet, weil inzwischen die Sehgewohnheiten der Jungen Menschen anders geworden sind. als sie vor vierzig Jahren bei uns noch waren…..
          Die Serie wäre also heute in ihrer Machart kaum noch zeitgemäss – ihre Inhalte – neu aufbereitet – aber schon….

          ———–

          Und im Übrigen:

          Auch „nur“ schreiben über dieses Thema ist wichtig als Teil einer breit gestreuten Erinnerungskultur – und „nur schreiben“ hat selbst dann einen Sinn, wenn damit keine grossen Massen erreicht werden, sondern lediglich ein anderer Mensch beginnt, erneut über das Thema nachzudenken und ein Stückchen davon weiter zu tragen.

          Denk mal drüber nach….

Zu spät! Leider kannst Du hier nichts mehr anmerken.