– – tageweise unsortiertes – –
„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Damit es nicht in Vergessenheit gerät

Schon seit ein paar Tagen denke ich darüber nach, was ich dieses Jahr zu einem Ereigniskomplex schreiben könnte, zu dem ich beinahe in jedem Jahr einen Blogbeitrag geschrieben habe, seit ein Teil meines Lebens sich in Bloggersdorf abspielt.

Gemeint sind die Ereignisse in den Nächten vom 9. und 10. November 1938, die als Teil der Novemberprogrome als „Reichsprogromnacht“ oder – beschönigend: – als „Kristallnacht“ in die Geschichtsbücher eingingen:

Damals galt es in Deutschland als fein, eine komplette Bevölkerungsschicht, die Juden, gesellschaftlich auszugrenzen und zu diffamieren, weil eine Regierung von Verbrechern dies so propagierte und grosse Teile der Bevölkerung es völlig kritiklos übernahm.
Das fing schon 1933 kurz nach Hitlers Machtergreifung an – mit solchen Sätzen wie „man kauft nicht bei Juden“ – und nahm seinen vorläufigen Höhepunkt ein knappes Jahr vor Beginn des 2. Weltkrieges, also heute vor 83 Jahren, als in Deutschland die ersten Synagogen brannten und Menschen jüdischen Glaubens während schwerer Progrome ihr Hab und Gut verloren oder gar Gesundheit und Leben lassen mussten.

Auch die grosse Hamburger Synagoge im Grindelviertel fiel in diesen unseligen Novembertagen 1938 dem rassistischen Wahn der Nazis zum Opfer:

Sie brannte einen Tag später, am 10. November aus , während in der gleichen Nacht in ganz Hamburg zahlreiche jüdische Geschäfte verwüstet, jüdische Menschen gehetzt und ermordet – und in der Folge die jüdische Gemeinde auch noch auf höhnische Art und Weise für den Abriss und die Entsorgung der Trümmer zur Kasse gebeten wurden.

Die brutalen Übergriffe auf die jüdische Bevölkerung finden in der Hansestadt zum großen Teil am Nachmittag und Abend des 10. November statt. Nationalsozialisten zerstören die Neue Dammtor-Synagoge. Gegen 19 Uhr wird in der Leichenhalle auf dem jüdischen Friedhof in Harburg ein Brand gelegt. Schaulustige versammeln sich und behindern die Löscharbeiten der Feuerwehr: Die Halle brennt bis auf ihre Grundmauer nieder.
……..
Die Zerstörer setzen auch die Haupt-Synagoge am Bornplatz in Brand. Später muss die jüdische Gemeinde die Trümmer auf eigene Kosten abtragen.
…….
1988 sagt ein Zeitzeuge dem „Hamburger Abendblatt“: „Ich sah die Flammen aus der Grindelhof-Synagoge schlagen. Davor brannte ein Haufen jüdischer Gebetbücher und Thora-Rollen. Am abstoßendsten fand ich die Gesichter der SA-Männer, die von der brennenden Synagoge angestrahlt wurden. Ich hatte den Eindruck, die Männer waren davon überzeugt, etwas besonders Gutes zu tun.“

www.ndr.de/geschichte

Was darauf folgte, wissen wir alle:
Die Ausgrenzung setzten sich fort, Menschen jüdischen Glaubens wurden jeden Schutzes des Staates beraubt, in dem sie lebten, wurden ausgeplündert, schlussendlich wie Vieh zusammen getrieben und in unmenschlicher Weise in Lager gepfercht und ermordet…

-_-_-_-

All das darf nicht in Vergessenheit geraten, auch wenn die letzten Zeitzeugen dieser Ereignisse immer weniger werden und nicht mehr davon berichten können.

Deshalb ist es um so wichtiger, dass wir als Kinder- und Enkel-Generation der Täter jetzt die Verantwortung übernehmen und weiter davon erzählen, um solche Taten in Zukunft zu verhindern…. Besonders in dieser Zeit, wo Alltagsrassimus uns (nicht nur in den „sozialen Medien“) auf Schritt und Tritt begegnet und Judenhass immer wieder deutlich hervortritt und auch zu neuen Gewalttaten aus den gleichen Motiven heraus führt, wie sie damals schon eine Rolle gespielt haben….
Man denke nur an das Attentat in Halle vor zwei Jahren oder die immer wieder erschreckenden Angriffe auf Menschen, die an ihrer Kleidung oder ihrem Schmuck als Juden erkennbar sind.
Oder, wie gerade vor ein paar Tagen: an die Vorgänge in dem Hotel in Leipzig, bei denen ebenfalls Judenhass eine Rolle gespielt haben soll, wenn es denn stimmt, was der betroffene Sänger berichtet.

Und selbst, wenn nicht:
Die ersten Reaktionen im Netz auf diese Meldung waren schon voller Hass, bevor überhaupt belegbare Zweifel an Ofarims Darstellung laut wurden – und das alleine ist schon schlimm genug…..
Zeigt es doch, dass es immer noch Menschen gibt, die ihren Rassismus höher stellen als jedes Argument, was für den Wahrheitsgehalt von Ofarims Video hätte sprechen können.
Dumm halt nur, dass die im Nachhinein wohl doch Recht behalten…. denn die Glaubwürdigkeit des Sängers ist ja durch mehrere Zeugenaussagen inzwischen heftig erschüttert.

Dennoch zeigt sich hier ein Grundproblem unserer Gesellschaft, denn der „moderne Rassissmus unserer Zeiten“ trifft ja jetzt nicht mehr nur die Juden, sondern auch viele andere Gruppen wie Flüchtlinge, wie Menschen muslimischen Glaubens, wie Ausländer allgemein – und im Zusammenhang mit Corona je nach Perspektive die „Geimpften“ oder „Ungeimpften“, die zum Opfer öffentlichen oder unterschwelligen Hasses werden, bei dem Sachargumente keine Rolle mehr spielen, sondern pure Stimmungsmache das Ziel ist – mit tiefen Rissen in der Gesellschaft als Folge und gelegentlichen heftigen Entladungen durch Gewalttaten einzelner Täter

Um so mehr gilt aber, auch heute noch solchen Hassparolen zu entgegenzutreten und die Erinnerungen an die Progrome vor 83 Jahren wachzuhalten.
Weil so etwas nie wieder passieren darf!
Weder den Juden noch allen anderen Menschen.

-_-_-_-

Bleibt zum guten Schluss aber noch zu berichten, dass nun, über achtzig Jahre nach Zerstörung der alten Bornplatz-Synagoge an ihrer Stelle eine Neue gebaut werden soll.
Wobei zwar noch in Frage steht, ob der Neubau eine Kopie des alten Gebäudes werden oder etwas ganz neues auf dem leeren Platz entstehen soll, wo über lange Jahre nur der Grundriss der alten Synagoge durch eine spezielle Pflasterung erkennbar war – eingeklemmt zwischen einem alten Bunker, einer Schule und einem Gebäude der Uni:

Wichtig ist, dass dort – mitten im alten Zentrum jüdischen Lebens in Hamburg – ein neues Gotteshaus für die jüdische Gemeinde gebaut wird – und gut ist, dass darüber im Grundsatz über alle Parteien hinweg Einigkeit besteht, auch wenn über das „wie“ noch diskutiert wird.

Was sicherlich auch gut und richtig ist, wenn man sie die Argumente für oder wider eines Wiederaufbaus des alten Gebäudes ansieht.

Denn:
Dass es des eine neue Synagoge geben wird ist nun sicher – und es gibt Hoffnung, dass sich doch etwas zum Positivem verändert, auch wenn man daran gelegentlich zweifeln kann…


Habt trotzdem einen schönen Tag – und bleibt gesund und behütet!
Wir lesen uns – und dann auch wieder mit etwas erfreulicherem :bye:

(dem es ein Bedürfnis ist, wenigstens ein kleines Stückchen der Erinnerung an diese schrecklichen Zeiten weiterzutragen)


-426-