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„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Lenin kam nur bis Lüdenscheid – Autobiographie

Guten Abend zusammen!

Anfangs fand ich ja noch ganz lustig, was Richard David Precht aus seinem jugendlichen Leben berichtet, aber je weiter ich in diesem Buch vorankam, um so unerquicklicher und wirrer wurde es für mich – bis irgendwann, etwa hundert Seiten vor Schluss der Punkt erreicht war, wo ich die Lektüre entnervt abgebrochen habe:

Lenin kam nur bis Lüdenscheid
von Richard David Precht

Dabei hätte die Geschichte vielleicht auch das Zeug zu einer guten Satire gehabt, wenn Precht seine witzig-liebevolle Linie vom Anfang weiter verfolgt und nicht zunehmend weltanschauliches Geschwurbel hineingemixt hätte

Denn es ist schon eine besondere Welt, die er da beschreibt als Kind von Eltern, die versuchen ihre stark links gerichtete, ja bisweilen sogar marxistische Einstellung im kleinbürgerlich-konservativen Umfeld des westfälischen Solingens zu leben, als Intellektuelle mit auskömmlichen Einkommen zwischen Mietwohnungen und Eigenheim und dabei fast jedes Klischee bedienend, was man sich in dem Zusammenhang nur vorstellen mag.
Was den Autor und auch seine Geschwister gelegentlich in heftige innere Konflikte stürzt, wenn es darum geht, auf der einen Seite der elterlichen Weltanschauung gegenüber loyal zu sein und diese auch der Aussenwelt gegenüber zu vertreten – und dem anderseits mehr als verstehbaren Wunsch, einfach so zu sein wie alle anderen , statt sich ständig in einer Aussenseiterrolle zu befinden…

Das traurige daran: leider ist das keine Satire, sondern beruht wohl auf realen Erfahrungen des Autors, die ich bis zu einem gewissen Punkt sogar nachvollziehen kann als jemand, der in einem streng christlichen, wenn auch deutlich liberaleren Umfeld aufgewachsen ist, sich aber dennoch gelegentlich in einer ähnlichen Aussenseiterrolle wiederfand.
Denn im Unterschied zu Precht hatte ich zmindest ab einem gewissen Punkt auch immer eine Wahlmöglichkeit und wurde nicht dazu genötigt, Dinge zu vertreten, die ich damals weder verstanden noch als mir eigen betrachtet habe.

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Und das ist es auch, was mir an diesem Buch so missfällt:
Dass der Autor viele Aspekte einer Jugend zwar kritisch beleuchtet (und offenbar auch häufig darunter gelitten hat), aber wohl zu keiner Zeit ernsthaft dagegen opponiert und eine eigenständige Weltsicht dagegen setzt… denn zumindest darüber schreibt er nichts.
Dabei wäre es doch ganz natürlich gewesen (so sagt mir zumindest meine Erfahrung sowohl mit meinen Eltern als auch mit meinen eigenen Kindern), sich davon zu emanzipieren und eigene Wege zu suchen. Aber an diesen Punkt kommt es in diesem Buch gar nicht – und er deutet sich auch nicht an bis zu der Stelle, wo ich die Lektüre abgebochen habe.
Stattdessen scheint es eher so, dass Precht vieles von dem als Erwachsener einfach stumpf übernimmt und als gegeben setzt, was seine Eltern ihm auf teils fragwürdige Rat und Weise vorgelebt haben und was ihm vorher zumindest Anlass zu zaghaftem Zweifel gab….

Bleibt also die Frage, was Precht seinen Lesern mit diesem Buch vermitteln will, das von einer Welt erzählt, die mir viel fremder scheint als die, welche Marion Brasch in ihren Erinnerungen an ihre Jugend in der DDR beschreibt – obwohl ich mit Precht im selben Land und in derselben Gegenwart gelebt habe und manche seiner Erfahrungen sogar teilen kann?
Mir zumindest erschliesst sich das nicht, zumal meine Weltsicht sicher auch eine ganz andere ist als die teils sehr misanthropisch geprägte des Herrn Precht, die ja auch heute noch in seinen „philosphischen“ Ansichten durchscheint – gut zwei Jahrzehnte nach Erscheinen des Buches und vermutlich auch immer noch in dem verhaftet, was er als Kind erlebt und später aufgeschrieben hat.

(Woraus ich ihm nicht mal einen Vorwurf mache – schliesslich haben wir ja auch ganz unterschiedliche Erfahrungen und politisch-weltanschauliche Sozialisationen)

Dennoch reicht es für mich auch nicht für mehr als gerade mal die halbe Punktzahl, weil ich das Buch in seiner Gesamtheit als ziemlich unausgegoren empfinde und es mir – gemessen an der Profession des Autors – auch viel zu einseitig und unkritisch in seiner weltanschaulichen Schwarz-Weiss-Malerei erscheint.

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Der Klappentext:

Die Biographie einer Dekade – erzählt als Familiengeschichte: klug, einfühlsam und amüsant führt Richard David Precht durch seine linke Kindheit in den Siebzigern.

Lenin kam nur bis Lüdenscheid, bis Solingen ist er nie gekommen. Aber in den Zeltlagern der DKP in Lüdenscheid war die Weltrevolution schon geglückt. Liedermacher sangen von der großen Solidarität zwischen Kindern und Erwachsenen, man feierte den »Internationalen Tag des Kindes«, und die Schauspieler des Jugendtheaters »Rote Grütze« trugen Unterhemden mit aufgemalten Brüsten und redeten über Pipi. Geboren 1964 als Kind westdeutscher Linker im provinziellen Solingen, lernt Richard David Precht schon früh, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, zwischen Sozialismus und Faschismus. Und er wächst auf mit einem klaren Feindbild: den USA. Coca-Cola ist zu Hause ebenso verpönt wie Ketchup, »Flipper«, »Daktari« oder »Raumschiff Enterprise «, dafür gibt es aber das Grips Theater und Lieder von Degenhardt und Süverkrüp. Seine Eltern sind noch engagierter als viele ihrer Zeitgenossen – sie adoptieren zwei Kinder aus Vietnam und schicken ihren Nachwuchs ins Jugendkulturzentrum der SDAJ. Prechts Kindheits- und Jugenderinnerungen sind eine durchaus liebevolle Rückschau auf ein politisches Elternhaus, die bei allen Altersgenossen vertraute Erinnerungen an die Leidenschaften eines vergangenen Jahrhunderts wachrufen werden. Amüsant, nachdenklich und mit dem Gespür für die prägenden Details erzählt er das Gegenstück zur bürgerlichen Jugend der »Generation Golf«.

Amazon

Habt noch einen schönen Abend und ein schönes Wochenende – und bleibt gesund und behütet.
Wir lesen uns :bye:

Euer Wilhelm,

der sich nun wieder erfreulicherer Lektüre zuwendet…..


-939-

Musik: Reinhard Mey

Guten Morgen, liebe Freunde!

Gestern Morgen kam ich irgendwie auf den Gedanken, dass ein Musiker in diesem Blog ja noch gar nicht vorgekommen ist, der mich nun schon seit gefühlten Ewigkeiten mit seinen Liedern begleitet – angefangen mit „Annabelle, ach Annabelle“, das 1972 auf seinem Album

erschien und das ich ausgesprochen witzig fand, zumal es recht gut zu dem zu passen schien, was ich damals igendwie ganz gut fand: die Blödelbarden aus der Berliner Liedermacherszene – wie Ulrich Roski, Schobert&Black, Gebrüder Blattschuss und noch viele andere mehr, deren Namen ich schon lange vergessen habe.

Reinhard Mey – Annabelle, ach Annabelle

Dumm halt nur, dass „Annabelle“ bis dato gar nicht als Single erschienen war und mir nichts anders übrig blieb, als das gesamte Album zu kaufen, weil ich das Lied unbedingt haben wollte. Denn da waren ja noch mehr Lieder drauf. Manche witzig wie „Annabelle“, manche nachdenklich wie „in Tyrannis“, ein wunderbares Liebeslied mit „Herbstgewitter über Dächern“ und natürlich auch „Gute Nacht Freunde“ das Reinhard Mey seinerzeit für Inga und Wolf als Beitrag zum ESC geschrieben hatte…..

Und damit war der Virus gelegt für den Rest meinen Lebens, denn seither habe ich nichts mehr ausgelassen, was von Reinhard Mey an neuen Platten auf den Markt kam – und ich habe keinen dieser Käufe je bereut….. denn Reinhard’s Musik wurde buchstäblich zum Teil des Soundtracks meines Lebens und wir sind im besten Sinne auch zusammen gealtert.
Waren es anfangs die witzigen, ja fast schon albernen Stücke wie „Annabelle“, die ich gut fand, wurden es im Lauf der Zeit immer mehr die ernsthaften, nachdenklicheren, die ich zu schätzen wusste und die zu liebgewonnenen Begleitern in den verschiedensten Phasen meines Lebens wurden… zumal in den Texten auch immer wieder Weisheiten und Perlen stecken, mit denen er mir wirklich aus der Seele spricht.
Um so mehr, nachdem ich ihn irgendwann Mitte der siebziger die ersten Male Live gesehen habe, (damals noch zu wirklich erschwinglichen Preisen in der kleinen Bielefelder Oetkerhalle – und kurz darauf noch mal Open-Air auf der Burg Waldeck) und dabei mitbekommen habe, wie sehr er selbst auch das verkörpert, was er singt.

-_-_-_-

Also habe ich – um noch mal auf den Anfang dieses Beitrages zurückzukommen – gestern morgen mal gegooglet, um herauszufinden, ob und wann denn nun das lange erwartete Live-Album herauskommt, das eigentlich schon letztes Jahr hätte erscheinen müssen. Wobei ich erst mal ziemlich erschrocken war, was Google da an Suchvorschlägen auswirft:

Sowas möchte wohl keiner gerne über sich lesen :-(

Doch zum Glück: Er lebt noch und Alzheimer hat er wohl auch nicht – und ja, auch das neue Album sollte kommen, tatsächlich schon heute :-)
Womit dann auch klar war, was heute heute als erstes passieren würde, sobald ich wach bin:
Computer an, Kopfhörer aufstülpen, Spotify aufrufen und in das Album hineinhören.

-_-_-_-

Genauso ist es dann auch gekommen:

Und – sehr zu meiner Freude – gleich am Anfang „ein guter alter Bekannter“, ein Titel von seinem allerersten Album, mit dem er seinerzeit auch das Konzert in Bielefeld begonnen hatte:

Reinhard Mey – Ich wollte wie Orpheus singen

Bekannt, aber doch anders klingend als damals – ruhiger, gelassener, gesetzter, wie von einem der genau weis, was er da macht – und der auch als Achtzigjähriger seine Sache wirklich gut macht mit seinen alten und neuen Liedern, die er den Zuhörern da anscheinend sehr entspannt und gemischt mit kleinen Geschichten und lockeren Anekdoten präsentiert.
Und trotzdem springt dabei auch gleich wieder der Funke über wie vor nun fast fünfzig Jahren – und es kommen auch die selben Emotionen hoch, die ich schon damals empfunden habe, beim ersten Mal, als ich ihn Live gesehen habe.
Wozu die grössere Bandbreite seiner Themen, seine heute viel voller klingende Stimme und sein saubereres Gitarrenspiel auch noch ihren Teil beitragen, die den Genuss noch um einiges grösser machen, als er seinerzeit schon war.

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Und damit hat es schon gelohnt, heute morgen so früh aus dem Bett gefallen zu sein.
Denn dieser Tag hat auf jeden Fall schon mal wirklich gut begonnen…..

(und auch diesmal wieder: Klicks auf die Bilder führen Euch zu Spotify)


Habt ihr also auch einen feinen Tag und bleibt gesund und behütet!
Wir lesen uns :bye:

Euer Wilhelm,

der gerne mit Achtzig auch noch so fit und agil sein würde wie Reinhard Mey es anscheinend noch ist.
Dem merkt man sein Alter auf der Bühne jedenfalls nicht an :-)


-938-