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„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Gedanken zum 27. Januar

Einen guten Morgen Euch allen!

Heute ist der 27. Januar und damit auch der 78. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers in Auschwitz und ein internationaler Gedenktag, an dem aller Opfer des Holocausts gedacht wird.

Doch je weiter wir uns von diesem historischen Datum entfernen, um so mehr scheint auch der Gedenktag an Präsenz in unserer Gesellschaft zu verlieren – oft genug wird sogar schon von „alten Geschichten“ geredet, die man „doch nicht immer wieder aufwärmen muss“, während gleichzeitig Alltagsrassimus und Judenhass in bestimmten Kreisen unserer Gesellschaft ganz alltäglich sind und völlig normal erscheinen.

Und ich gebe zu:
Auch für mich ist dieser Gedenktag nicht mehr wirklich so gegenwärtig wie in früheren Jahren, denn zumindest in den letzten Jahren habe ich eher wenig dazu geschrieben, obwohl mir dieses Datum immer wichtig und auch einen eigenen Beitrag wert war.

Aber dafür möchte ich heute mal wieder etwas ausführlicher darauf eingehen mit einem Vollzitat eines Beitrages, den ich vor drei Jahren schon einmal in meinem alten Blog veröffentlicht hatte – damals auch unter den noch relativ frischen dem Eindrücken geschrieben, die wir bei unserem Besuch in Auschwitz im Sommer 2019 sammeln konnten:




Gerade mal ein Menschenalter

Auf den Tag genau 75 Jahre – so lange ist es her, dass die russische Armee an diesem Ort die wenigen übrig gebliebenen Menschen befreit hat, einem Ort, den auch wir  im letzten Jahr besucht haben:
Auschwitz-Birkenau – einer der schrecklichsten Orte, die ich mir auf dieser Welt vorstellen kann:Ein Ort der Vernichtung, der auch heute noch nichts von seinen Schrecken verloren hat.
Ein Ort der Perversion und der Unmenschlichkeit.Ein Ort des Verbrechens, der auch heute noch Zeugnis ablegt von der Perfidität, zu der Menschen fähig sind.
Ein Ort, der als Mahnmal erhalten bleiben muss, um für alle Zeit daran zu erinnern, das so etwas nie wieder geschehen darf.

Mehr muss man dazu nicht schreiben.
Oder doch?

Ja, man muss mehr schreiben, angesichts dessen, was sich wieder in unser Mitte breit macht.
Man muss daran erinnern, was damals passiert ist und dafür sorgen, dass es nie wieder passieren kann. Auch wenn es in Auschwitz heute  so zugeht wie in jeder x-beliebigen Touristen-Attraktion und viele Menschen wohl nur um der Sensation willen diesen Ort besuchen, der sich im Sonnenschein teils ganz malerisch präsentiert So wie bei unserem Besuch, bei dem wir auch beobachten konnten, dass viele Menschen sich nicht scheuen, Selfies vor der Exekutionswand oder auf der berühmten Rampe zu machen, von der aus es für viele namenlose Menschen direkt in die Gaskammer ging.
Denn lange nicht alle Häftlinge wurden so ausführlich „dokumentiert“, wie die Karteikarten und die Fotos oben (aus dem Hauptlager Auschwitz)  glauben machen wollen,  im Gegenteil. Für die überwiegende oft namenlose Mehrheit endete die Fahrt in Birkenau und führt dort von der Rampe direkt in den Tod. Übrig blieben von Ihnen nur ein paar Habseligkeiten und Zahlen in einem Buch, die Aufschluss darüber geben sollten, wie weit das Werk der Vernichtung Fortschritte machte….

Pervers.
Sowohl das, was damals passiert ist – als auch, wie respektlos  Menschen sich heute wieder an diesem Ort  verhalten

Ist er doch Teil unserer aller Geschichte, auch wenn die meisten von uns viel zu jung sind, um die Zeit mitgemacht zu haben.
Einer Geschichte, die uns die Verantwortung auferlegt, das Gedenken an die Geschehnisse von damals und an die vielen Menschen wach zu halten, die infolge des Wahnes einiger weniger zu Grunde gehen mussten.

Nicht nur an Jahrestagen wie diesen, sondern immer.



Habt dennoch alle einen angenehmen Tag und bleibt auch heute gesund und behütet!
Wir lesen uns :bye:

Euer Wilhelm,

dem es immer noch wichtig ist, an die Ereignisse von damals zu erinnern…..


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- 19 Bemerkungen zu “Gedanken zum 27. Januar

  1. Auch wenn viele Besucher:innen dem Ort durch ihr Verhalten viel an Würde genommen haben, ich war selten so fertig, wie nach diesem Besuch. Und an die Verbrechen zu erinnern, aber auch an das, was dazu geführt hat, halte ich nach wie vor für extrem wichtig. Zum Glück gibt es noch genug Menschen, die das tun und sei es z.B. durch die Stolpersteine, die nach wie vor verlegt werden.

  2. Vor Jahren habe ich an einem 27. Januar in der Hamburger Michaeliskirche an der Holocaust – Gedenkfeier mit dem da schon sehr gebrechlichen Ralph Giordano teilgenommen. Ich habe diesen Mann, der mit uns Lesern seine erlebten und erlittenen Erinnerungen an die schreckliche Zeit in den „Bertinis“ teilte, sehr verehrt. Trotz Alter und sichtbarer körperlicher Schwäche spürte man den bis zum letzten Atemzug kämpferischen und wachen Geist, aufzustehen gegen Unrecht, Ausgrenzung und Gewalt. Und nie zu schweigen!
    Der mit seinem Vermächtnis verbundene Bertini – Preis, der jedes Jahr an Schülerinnen und Schüler vergeben wird, die sich in seinem Sinne verdient gemacht haben, ist ein wichtiger Beitrag gegen das Vergessen.

    1. Die Bertinis habe ich auch schon mehrfach gelesen, wie auch andere Werke von Brentano, die ebenfalls Teil seiner Spurensuche sind. Und Du hast sicher Recht, dass auch er eine wichtige Person war, wenn es darum ging, gegen das Vergessen anzukämpfen.

      1. Gerade die Arbeit der noch lebenden Zeitzeugen, von denen es leider – naturgemäß – nicht mehr viele gibt, halte ich für ganz besonders wichtig. Dass sie in die Schulen gehen und von dem selbst erlebten Grauen berichten (salopp gesagt: Geschichte zum Anfassen bieten) ist für junge Menschen bestimmt wesentlich eindrucksvoller als nur Lektüre. Die Schwere dieser Aufklärungsarbeit angesichts dessen, was sie sich selbst dabei antun, wage ich mir nicht auszumalen. Dafür empfinde ich tiefen Respekt und Dankbarkeit.

  3. Danke, Martin, dass du daran gedacht hast und uns erinnerst – ich hatte das Datum nicht in Erinnerung. Dieses Thema finde ich immer wieder ganz wichtig es in Erinnerung zu behalten. Vor Jahren bin ich zu Vorträgen eines Zeitzeugen aus unserer Stadt gegangen inzwischen ist dieser verstorben. Ich bin auch gemeinsam mit meinem Sohn dorthin gegangen der auch sehr interessiert war, er kannte den Herrn beruflich als Kunden und hat von ihm einmal ein Buch geschenkt bekommen, welches dieser Mann über sein Leben geschrieben hat.
    Erstaunlicherweise scheint heute im gesamten Fernsehangebot keine Erinnerung an den heutigen Jahrestag zu sein.

    Dieses Thema darf nicht in Vergessenheit geraten – es muss immer wieder daran erinnert werden.

    1. Stimmt, im Fernsehprogramm war das Thema heute abgehen von den Nachrichtensendungen und ein paar Filmen im Spätprogramm nicht sehr präsent. Aber das muss es meiner Meinung nach auch nicht unbedingt mehr sein, zumal damit eine wichtige Zielgruppe ohnehin nicht erreicht würde:
      Die Generation der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die eher die Neuen Medien und die sozialen Netzwerke nutzen und deren Aufgabe es in Zukunft auch sein wird, einen angemessenen Umgang mit dem Thema zu finden.
      Schliesslich ist das alles schon fast mehr als ein Menschenleben her und die Zahl der Zeitzeugen, der Täter und der Opfer nimmt von Jahr zu Jahr mehr ab, so dass der Holocaust auch viel vom unmittelbaren Schrecken verlieren wird, den er in der Generation der Alten noch hatte, so dass die Ereignisse dieser Zeit mehr und mehr zu einem geschichtlichen Ereignis wird wie der erste Weltkrieg und das was drum herum passiert ist.

  4. Ich habe gerade zu diesem Thema ein paar passende Worte gelesen:
    Wir sind nicht verantwortlich für das, was geschehen ist. Aber wir sind dafür verantwortlich, dass es nicht wieder geschieht.

  5. Moin Wilhlem. Gut dass du daran erinnerst. M. M. nach sollte so wie so jedes Kind mindestens einmal in seiner Schulzeit eine KZ-Gedenkstätte besucht haben.
    Z. B.: https://sven2204.wordpress.com/2018/03/26/mnchen-stadt-der-gegenstze/
    Ganz ehrlich, das hatte ich heute Morgen noch nicht auf dem Schirm. Mittlerweile weiß ich, dass es heute dazu auch eine Gedenkstunde im Bundestag gegeben hat.
    Als ständiger Leser bei unseren dänischen Nachbarn erlaube ich mir hier mal kurz einen m. E. sehr zutreffenden Appell aus dem JYLLANDS-POSTEN sinngemäß übersetzt abzuschreiben: „Es ist eine gemeinsame europäische Pflicht, eine Wiederholung wo auch immer zu verhindern. Oft wurde versucht, den Holocaust als etwas spezifisch Deutsches zu erklären, als etwas, dass mit dem Naziregime und dem 2. Weltkrieg zu tun hat. Aber im Gegenteil, es ist unbestreitbar, dass der moralische Zusammenbruch der europäischen Zivilisation und Geschichte, den der Holocaust als Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt, unser aller und damit auch unsere gemeinsame Verantwortung ist.“
    Grüße!

    1. Danke für das Zitat aus der Jyllands-Posten, dessen Einwendung ich für ausgesprochen richtig halte.
      Den tatsächlich ist der Holocaust (und seine Fortsetzung in Form der täglichen Rassismuses in unsrer Zeit) schon lange kein typisch deutsches Problem mehr, wie man etwa am Umgang mit den Flüchtlingen aus Afrika ablesen kann.
      Denn dabei könnte man durchaus auch vom Zusammenbruch der europäischen Zivilisation sprechen, je mehr die Werte dieser Zivilisation über Bord geworfen werden.

  6. Danke, dass Du dazu beiträgst, die Erinnerung wach zu halten. Ich halte das auch nach wie vor für richtig und wichtig.
    In Auschwitz war ich nicht. Ich war nur in Oranienburg. Das hat mich aber auch sehr mitgenommen. Wenn ich auf dem einen Bild die Touristenströme sehe, dann macht mir das ein zwiespältiges Gefühl. Einerseits gut, dass sich so viele Menschen das ansehen. Andererseits sollte es eben nicht zur Touristenattraktion verkommen. Da wird man wohl immer einen TradeOff finden müssen.

    1. Ich hatte weder in Auschwitz noch in Oranienburg den Eindruck, dass es zur Touristen-Attraktion verkommt, weil nach meinem Gefühl doch seitens der jeweiligen Gedenkstätten trotz der Menge an Besuchern (und der in Auschwitz sehr strengen Organisation) während der Führungen immer wieder sehr emphatisch und anhand von Einzelschicksalen die Opfer und ihre Leiden in den Vordergund gestellt werden und damit eine Brücke zwischen den Besuchen und den Opfern entsteht.

      Schwieriger ist da schon das Verhalten einzelner Besucher ausserhalb der Führungen, das manchmal eben auch sehr respektlos dem Ort gegenüber ist, wie oben schon beschrieben.

  7. Danke – da unsere Verwandtschaft bis in die 70er Jahre in Katowice lebte, waren wir auch dort – und mir ging es ähnlich wie Birte. Ich konnte mir kaum vorstellen, wie Menschen sich so etwas Grausames ausdenken und in die Tat umsetzen konnten.
    Ich war auch in Buchenwald und in anderen Lagern – ich fand sie alle schrecklich. Schlimm finde ich ja, dass es auch in anderen Ländern Vernichtungslager gab oder gibt – vielleicht nicht in diesem riesigen Ausmaß wie in Deutschland. – Der Deutsche wollte schon immer der Größte und der Perfekteste (Perfideste oder Boshafteste wäre angebrachter) sein.

    1. Aber spielt die absolute Zahl der Opfer überhaupt eine Rolle?
      Im Prinzip ist es doch fast egal, ob in solchen Lager nur einige wenige oder Hundertausende von Menschen gequält und getötet wurden und noch getötet werden.
      Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind das hier wie dort – und mal übertragen in unsere Zeit auch dann, wenn solche Lager nicht bewusst darauf abzielen, Menschen zu töten, sondern beispielsweise „nur“ dazu dienen sollen, ungewollte Flüchtlingströme zu unterbinden, wie etwa in den Lagern auf den Mittelmeerinseln oder an einigen innereuropäsichen Grenzen, für die bisher niemand zur Verantwortung gezogen wird ( und die angesichts anderer tageaktueller Ereignisse auch immer mehr aus unserem öffentlichen Bewusstsein verschwinden.)

      Denn, auch wenn niemand mehr darüber redet: diese Lager existieren immer noch und dort leben auch heute noch Menschen unter völlig indiskutablen Bedingungen.
      Und, ganz wichtig:
      An Auschwitz, Buchenwald usw. und dem was da passiert ist, kann keiner von uns mehr etwas ändern – an der Situation der Flüchtlinge aber schon

  8. Ich war mal als Schüler in Sachsenhausen, schon lange her, aber nie vergessen. Vor 3-4 Jahren war ich mal in Krakau, da wurden „Tagestouren“ nach Auschwitz angeboten so wie Wal-Beobachtungen und Schnupper-Tauchgänge. Widerlich.

    Danach irgendwann habe ich „Die Frauen aus Birkenau“ gelesen und überlege schon länger, ob, wie und wann ich das wohl meiner Tochter in die Hand drücke …

    1. Das haben wir in Krakau auch beobachtet – und waren auch einigermassen angefressen davon.
      In Auschwitz selbst stellte sich das dann allerdings deutlich anders dar:
      Trotz der eng getakteten und auch auf hohen Durchsatz ausgelegten Organistation hatten wir da immer den Eindruck, dass es nicht um die schreckliche Attraktion des Ortes geht, sondern um die Vermittlung der geschichtlichen Ereignisse und um den Respekt vor den Opfern….

      Zur Ergänzung vielleicht noch das, was Birte damals kurz nach dem Besuch geschrieben hat:

      Führung durch Auschwitz-Birkenau

        1. Wenn Du die Gelegenheit hast…
          Allerdings solltest Du Dich auf jeden Fall voranmelden, wenn Du an einer der Führungen teilnehmen willst.
          Spontan geht da wohl nichts.

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