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„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Der Circle & Every – Romane (Sci-Fi)

Guten Tag alle zusammen!

Heute gibt es mal eine kleine Premiere: Gleich zwei Buchvorstellungen in einem Beitrag!
Aber das bietet sich auch an, stammen doch beide Bücher aus der Feder des gleichen Autors und erzählen die gleiche Geschichte aus etwas unterschiedlicher Perspektive und mit einer Unterbrechung von zehn Jahren in der Handlung:

Der Circle
Every

Von Dave Eggers

Um es gleich vorweg zunehmen:

Beide Bücher sind gut lesbar und auch durchaus spannend geschrieben, aber man sollte sie nicht allzu ernst nehmen, was die Handlung und die darin enthaltenen Fiktionen einer zukünftigen Welt angeht. Die geht zwar in vielem weiter, als Marc Elsberg das in seinem Roman Zero tut (Buchvorstellung hier), erscheint aber aus heutiger Sicht so unwahrscheinlich, dass man sie in weiten Teilen allenfalls als satirische Übertreibung bezeichnen kann.

Im zweiten Buch übrigens noch mehr als im ersten, dem man mit etwas gutem Willen noch unterstellen kann, zumindest in Teilen eine Realität abzubilden die möglich wäre…..

Anderseits reichen Eggers Vorstellungen von einer zukünftigen Welt aber auch nicht soweit, dass es für echte Science-Fiction im klassischen Sinne reichen würde, selbst wenn sie in Teilen der Handlung deutlich in diese Richtung weisen – insbesondere, was technische „Fortschritte“ und die damit verknüpfte mögliche Entwicklung der menschlichen Gesellschaft in Zeiten zunehmender Vernetzung angeht.
Das ist mir besonders in „Every“, dem zweiten Teil der Geschichte aufgefallen, der zudem auch an manchen Stellen mit dümmlichen Albernheiten glänzt, bei denen dem Autor ganz offensichtlich etwas die Pferde durchgegangen sind .

Etwa, wenn er einen Modetrend auf dem Every-Campus beschreibt, der auf hautengen Strechanzügen besteht, die besonders die männlichen Geschlechtsorgane betont und damit plötzlich zum tragenden Teil der Handlung wird – oder einen völlig überbordenden Öko-Fimmel (ebenfalls Teil der Handlung), der in sich völlig inkonsequent und unlogisch ist, aber im Lauf der Handlung immer weiter ausgemalt wird…..

Und das ist wirklich schade, denn damit macht er die wirklich guten Ansätze in beiden Büchern kaputt – etwa die beabsichtigte Kritik an den uns allen bekannten Datenkraken und globalen Monopolisten, die mit ihrem ungehinderten Wachstum und ständig steigenden Marktanteilen rücksichtlos alles kaputt machen, was sich ihnen in den Weg stellt…..

Insofern befriedigen beide Bücher auch in keiner Weise die Ansprüche, die ich an wirklich gute Sci-Fi Literatur habe:
Sie sind weder phantastisch genug, um diese zu erreichen (wie etwa Andy Weir’s „Marsianer“) noch gut genug recherchiert, um eine glaubhafte Zukunftsperspektive abzubilden (wie das oben schon mal angesprochene „Zero“ von Marc Elsberg)…

Bleibt also lediglich der unbestreitbare Unterhaltungswert, der aus meiner Sicht als einzig ernsthaftes Argument für diese Bücher spricht und sie vor einer noch schlechteren Bewertung bewahrt.

-_-_-_-

Die Büchern im Einzelnen:

Der Circle

Teil Eins der Geschichte, zeitlich angesiedelt in der Mitte des ersten Jahrzehntes des 21. Jahrhunderts erzählt die Geschichte aus Sicht von Mae Holland, einer jungen Frau aus der amerikanischen Provinz, die das Glück hat, durch Beziehungen einen Job bei einem grossen Internetkonzern, dem Circle zu bekommen.
Anfangs noch als kleines Licht in der Kundenbetreuung steigt sie aber schnell auf, nachdem sie sich – sich teils naiv auf die Wünsche ihrer Vorgesetzten einlassend, teils aber auch immer mehr aus eigener Überzeugung und Zustimmung zu den Zielen des Konzerns heraus – mehr und mehr in die Welt auf dem abgeschotten Campus der Firma hineinziehen lässt. Denn dort herrscht Ordnung und ein soziales Miteinander, wie sie es bisher nicht gekannt hat und gleichzeitig bieten sich ungeahnte Möglichkeiten mit immer neuen technischen Entwicklungen, die im Kleinen vorwegnehmen, was der „Circle“ als grosse Ziele seines geschäftlichen Handelns betrachtet und in die Welt ausrollen will – immer mit dem Argument, dass „Wahrheit“ der Schlüssel sei, um die Welt friedlicher und die Menschheit besser zu machen. Und dazu müsse jeder Mensch in der Lage sein, zu jederzeit „alles zu wissen“
Was im Gegenzug bedeutet, dass „Wahrheit“ nur erreichbar wäre, wenn es keine Geheimnisse und keine Privatheiten mehr gäbe. Somit wird „Transparenz“ das grosse Zauberwort für eine totale Überwachung, nicht nur durch zahlreiche Webcams, sondern auch durch Bodycams, die der Konzern so geschickt vermarktet, dass auch Politiker sich gezwungen sehen, diese permanent zu tragen, um nicht als „Unwahr“ diskreditiert zu werden – wobei Mae Hilland die fragwürdige Rolle zukommt, als erster Vorreiter einer totalen Transparenz auf dem Campus zu fungieren und damit gezwungen wird ihre geheimsten Wünsche entweder völlig offen zu legen oder auf deren Erfüllung zu verzichten – inclusive der Beziehungen zu ihren Eltern und zu einem Freund, der diesem Modell sehr kritisch gegenüber steht……

Der Klappentext:

Huxleys schöne neue Welt reloaded: Die 24-jährige Mae Holland ist überglücklich. Sie hat einen Job ergattert in der hippsten Firma der Welt, beim »Circle«, einem freundlichen Internetkonzern mit Sitz in Kalifornien, der die Geschäftsfelder von Google, Apple, Facebook und Twitter geschluckt hat, indem er alle Kunden mit einer einzigen Internetidentität ausstattet, über die einfach alles abgewickelt werden kann. Mit dem Wegfall der Anonymität im Netz – so ein Ziel der »weisen drei Männer«, die den Konzern leiten – wird die Welt eine bessere. Mae stürzt sich voller Begeisterung in diese schöne neue Welt mit ihren lichtdurchfluteten Büros und High-Class-Restaurants, wo Sterne-Köche kostenlose Mahlzeiten für die Mitarbeiter kreieren, wo internationale Popstars Gratis-Konzerte geben und fast jeden Abend coole Partys gefeiert werden. Sie wird zur Vorzeigemitarbeiterin und treibt den Wahn, alles müsse transparent sein, auf die Spitze. Doch eine Begegnung mit einem mysteriösen Kollegen ändert alles …

Anmerkung:

Immerhin kann man diesem ersten Teil noch zugute halten, das er Entwicklungen aufzeigt, die möglich erscheinen, wenn auch eher als unwahrscheinlich ist, dass es jemanden gelingen könnte alle heutigen Konkurrenten dieser Branche unter ein gemeinsames Dach zu zwingen.
Auch das Leben auf dem Campus als in sich geschlossene Welt (und Parallel-Universum) ist nicht wirklich unwahrscheinlich – ebensowenig wie die totale Überwachung durch Webcams, wie wir sie an manchen Orten dieser Welt auch heute schon erleben.
Anderseits versteigt sich Eggers aber auch in diesem ersten Teil schon in Szenarien, die für mein Gefühl lediglich als effekthaschende Treiber der Handlung funktionieren, aber auch bei aller Naivität vieler Menschen kaum Chancen hätten, jemals Teil des echten Lebens zu werden…. setzen sie doch voraus, dass ein Grossteil der Menschheit wirklich bereit wäre, auf jegliches Privatleben und alle Geheimnisse zu verzichten.

Dennoch hätte ich dem Buch möglicherweise sogar eine richtig gute Bewertung gegeben, hätte ich nicht vorher „Zero“ gelesen, das überdeutlich (und wesentlich realistischer) zeigt, was man aus diesem Thema hätte machen können.
Insofern reicht es also allenfalls für vier Sterne, von denen ich drei dem Unterhaltungswert des Buches zurechne und lediglich einen dem inhaltlichen „Gehalt“:

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Every

Die Handlung des zweiten Teiles der Geschichte ist etwa zehn Jahre nach dem ersten Teil der Geschichte angesiedelt und wird aus dem Blickwinkel von Delaney Wells erzählt, einer Frau, die antritt, um das inzwischen aus dem „Circle“ und einem anderen Monopolisten, dem Handelsriesen „Dschungel“ (wer da wohl gemeint ist?) entstandene Internet-Imperium „Every“ zu unterwandern und letztendlich von innen heraus zu zerstören, dessen CEO und Aushängeschild eben jene Mae Holland aus dem ersten Teil der Geschichte ist.

Zu diesem Zweck bewirbt sich Delaney bei Every, um als „Everyone“(so nennen sich die Mitarbeiter der Firma selbst) mit selbst erdachten und eigentlich völlig abstrusen Apps den Konzern in den Ruin zu treiben und zieht – nach einigem Zögern und um ihrer Rolle glaubwürdigkeit zu verleihen – auf den inzwischen auf einer Insel in der San-Fransico-Bay hermetisch abgeriegelten Campus der Firma um, in eine Parallelwelt, die mit dem Leben ausserhalb, also im „Nowhere“ fast nichts mehr gemeinsam hat und in der die „No-Ones“, also die Menschen auserhalb der Firma nur noch als undeutliche Masse betrachtet werden, die nach Belieben manipuliert werden können, ohne Skrupel oder Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse einzelner Menschen.

Doch so richtig kommt Delaney mit ihrem Vorhaben nicht vorwärts, denn alle von ihr geplanten Manipulationen bewirken genau das Gegenteil von dem, was sie sich erhofft hat. Statt Proteststürme bei den Kunden zu entfachen werden die Apps mit Begeisterung aufgenommen und führen die Firma in immer weitere geschäftliche Höhen, ohne das ein Ende abzusehen ist.
Auch Delany selbst lässt sich zusehends infiltrieren und passt sich zunehmend an die auf dem Campus herrschende Philosphie an….

Der Klappentext:

Der Circle ist die größte Suchmaschine gepaart mit dem größten Social-Media-Anbieter der Welt. Eine Fusion mit dem erfolgreichsten Onlineversandhaus brachte das reichste und gefährlichste – und seltsamerweise auch beliebteste – Monopol aller Zeiten hervor: Every.

Delaney Wells ist »die Neue« bei Every und nicht gerade das, was man erwarten würde in einem Tech-Unternehmen. Als ehemalige Försterin und unerschütterliche Technikskeptikerin bahnt sie sich heimlich ihren Weg, mit nur einem Ziel vor Augen: die Firma von innen heraus zu zerschlagen. Zusammen mit ihrem Kollegen, dem nicht gerade ehrgeizigen Wes Kavakian, sucht sie nach den Schwachstellen von Every und hofft, die Menschheit von der allumfassenden Überwachung und der emojigesteuerten Infantilisierung zu befreien. Aber will die Menschheit überhaupt, wofür Delaney kämpft? Will die Menschheit wirklich frei sein?

Wie schon bei »Der Circle« weiß Dave Eggers wie kein zweiter unsere Wirklichkeit so konsequent weiterzudenken, dass einem der Atem stockt beim Lesen. Man kann nur inständig hoffen, dass die Realität nicht schneller voranschreitet, als Dave Eggers schreiben kann.

Anmerkung:
Erschien mir schon der erste Teil lediglich an manchen Stellen unglaubwürdig und unrealistisch, so würde ich das für diesen Teil der Geschichte fast durchgängig behaubten. Zumal manche Szenen derartig überspitzt und albern sind, dass ich ernsthaft überlegt habe, das Buch nicht zu Ende zu lesen. Beispielsweise die ganz oben schon mal angemerkten.
Immerhin (und das halte ich dem Buch zugute) gibts auch noch ein paar Running Gags, die (in die übrige Handlung eingestreut) noch ein gewisses Spannungselement aufrecht erhalten, das mich bisher daran hindert, es (symbolisch gesprochen) in die Ecke zu feuern.

Entsprechend mies fällt nach zwei gelesenen Dritteln auch meine Bewertung dafür aus, die nochmal eindeutig schlechter ist als die für den ersten Teil:

Wie schrieb doch eine Kritikerin dazu:

…..Es ist eine Parodie,…..

Juli Zeh

Das hätte man mir vielleicht vorher sagen sollen……
Denn dann wäre ich wahrscheinlich anders an dieses Buch heran gegangen oder hätte es gar nicht erst angefangen zu lesen. :-(

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So aber (und das gilt jetzt wieder für beide Bücher) bleibt allenfalls der Eindruck, dass ich persönlich das Lob der etablierten Kritiker nicht teilen mag. Denn die Bücher sind zwar teilweise recht unterhaltsam, schiessen aber mit ihren übertriebenen Überspitzungen deutlich am selbst gesteckten Ziel vorbei, ernsthaft auf die Problematiken einer von Internetkonzernen bestimmten Welt aufmerksam zu machen.
Was ich persönlich ziemlich schade finde – weniger wäre hier eindeutig mehr gewesen….


Und jetzt kommt noch das, was immer kommt:
Habt einen schönen Tag und bleibt gesund und behütet!
Wir lesen uns :bye:

Euer Wilhelm

der wieder mal viel mehr geschrieben hat, als er ürsprünglich wollte……


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