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„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Déjà-vu?

Da haben sich also die selbsternannten Weltpolizisten aus den USA mal wieder eine blutige Nase geholt. In einem Konflikt, bei dem von vorne herein abzusehen war, dass der nicht zu „gewinnen“ war. Nicht, nachdem auch die ehemalige Soviet-Union schon kläglich gescheitert war im Bemühen, in Afghanistan „Frieden zu schaffen“ und das Land zum Satelliten des eigenen Machtsystems zu machen.

Und so gleichen die aktuellen Bilder aus Kabul in fataler Weisen denen, die 1975 am Ende des Krieges in Vietnam entstanden – kurz vor dem endgültigen Abzug der US-Armee, als verzweifelt versucht wurde, letzte US-Bürger und Vertreter der Süd-Vietnamesischen Regierung aus der schon heftig umkämpften US-Botschaft in Saigon zu evakuieren.

Saigon, 20.April 1975

Übrig blieben ein zerstörtes Land, Menschen, die – nun mit ihrem Konflikt alleine gelassen – ihres Lebens auf lange Zeit nicht mehr sicher waren und die Rache der Sieger, die vielen weiteren Menschen Existenz und Leben kostete.

Also genau das, was sich gerade auch in Afghanistan abzeichnet.
Und daran wird sich vermutlich auch nichts mehr ändern lassen, zumal mit Einflussnahme von aussen in diesem Land ganz offensichtlich nichts zu erreichen ist.
Nicht mit Geld und guten Worten – und schon gar nicht mit militärischen Interventionen und Krieg gegen die Islamisten und ihre Warlords, die dort nun das Geschehen bestimmen.
So bitter, wie diese Erkenntnis auch ist.

Aber das hätte man in Washington eigentlich wissen müssen – ein Blick auf die eigene Geschichte hätte dafür genügt. Denn da war ja nicht nur die Schlappe in Vietnam, sondern – viel eher – der eigene Unabhängikeitskampf gegen die Kolonialmächte England und Frankreich, der ebenfalls mit Guerilla-Taktiken geführt – und gewonnen! – wurde und schlussendlich zur Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika führte. Auch damals schon ein Krieg, den England und Frankreich niemals gewinnen konnten, selbst wenn sie zehn mal soviel Soldaten vor Ort gehabt hätten….

Denn auch damals galt schon, dass mit Waffengewalt der Willen der Bevölkerung allenfalls eine Zeit lang unterdrückt werden, aber niemals jemand überzeugt werden konnte, in einem System zu leben, in dem er nicht leben wollte. Insbesondere nicht, wenn dann auch noch ein religiöser Disput im Raum steht.


Insofern war es sicher auch keine gute Idee, nach den Ereignissen von 11. September 2001 aus einem Rachegedanken heraus einen Krieg in Afghanistan vom Zaun zu brechen, der absehbar am Endezur Katastrophe führen würde, zumal die Kontrahenten weltanschaulich nicht weiter auseinander liegen konnten und völlig unvereinbare Ziele hatten, die niemals zur Deckung zu bringen wären.

Aber das konnte den damaligen US- Präsidenten George W. Busch ja nicht abhalten, seinen Feldzug trotzdem zu starten – mit bitteren Konsequenzen für Menschen in Afghanistan und fast in der ganzen „westlichen“ Welt, die dadurch zum kollateralen Ziel islamistischer Angriffe gemacht wurden, obwohl der Konflikt im Ursprung nicht das Geringste mit ihnen zu tun hatte.

Kabul, 16.August 2021

Und nun ist es also da, das schreckliche Ende dieses zwanzig Jahre dauernden Krieges – mit Bildern, wie seinerzeit aus Saigon – herbeigeführt von einem dummen Mann namens Trump, der als US-Präsident nichts anderes im Kopf hatte als grossmäulige Wahlversprechen und die eigenen Machtgelüste – ohne Rücksicht auf die Konsequenzen, die das nun für die Menschen in Afghanistan haben wird.

Konsequenzen, die möglicherweise noch schlimmer werden als 1975 in Vietnam – mal ganz abgesehen von dem Schaden, die sowohl dieser Krieg als auch seine Folgen im Rest der Welt noch anrichten werden – in Staaten, die sich in bester Absicht da mit hinein ziehen liessen und – zumindest – „humanitäre Hilfe“ leisten wollten, von den kommenden Machthabern aber unvermeidlich als Unterstützer der USA angesehen werden, die ihre Nase in Dinge gesteckt haben, die sie nichts angingen.

So steht also zu befürchten, das auch wir hier in Deutschland noch lange mit der Rache dieser Machthaber konfrontiert sein werden – mit Anschlägen, die unter dem Mäntelchen des Islamismus nichts als blanker Terror sind.
Denn schliesslich haben die Taliban in Afghanistan jetzt die Oberhand gewonnen ( der besser: geschenkt bekommen) und werden sich sicher nicht auf auf ihr Land beschränken bis ihre Rachegelüste befriedigt sind.
Wobei die Menschen dort die ersten sind, die Trumps schnellschüssige Entscheidung ( und Bidens genauso sschnellschüssige Umsetzung) jetzt ausbaden müssen – besonders die, die als „Ortskräfte“ mit den vermeintlichen „Invasoren“ zusammen gearbeitet haben – aber auch die Frauen und die Kinder, sofern sie es nicht schaffen, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen – und sofern sich nicht Länder finden, die ihnen diese Sicherheit bieten können…..

Aber das ist ja jetzt deren Problem. Denn weder die USA und ihr neuer Präsident – noch die europäischen Länder, aus denen Soldaten in Afghanistan waren – sind wirklich bereit, an diesem Punkt echte Hilfe zu leisten.
Soweit reicht der „Humanismus“ dann doch nicht, mit dem uns dieser Krieg immer wieder schmackhaft gemacht wurde.
So werden denn neben den Botschaftsangehörigen der Kriegsteilnehmer vielleicht nur ein paar Hundert Menschen das Glück haben, ausgeflogen zu werden und damit die Perspektive auf ein friedlicheres Leben zu bekommen….

Und der Rest?
Der muss halt sehen, wo er bleibt!

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Damit mich jetzt niemand falsch versteht:

Ich plädiere in keiner Weise dafür, durch erneutes Entsenden von Soldaten dort zu intervenieren!
Denn das würde die Situation nicht entspannen und das Problem allenfalls um ein paar Tage nach hinten verschieben – bis spätestens zum nächsten kompletten Abzug aller ausländischen Kräfte aus Afghanistan.
Mal abgesehen davon, dass damit auch nur wieder neue Konflikte heraufbeschworen würden und die Gewaltspirale sich immer weiter drehen würde…
Mit Waffengewalt wird man die Einstellung der Taliban jedenfalls nicht ändern können.

Ausserdem war Krieg noch nie eine Lösung für irgend ein Problem in dieser Welt und wird auch in Zukunft keine Lösung sein – selbst wenn noch so heere Gründe dafür vorgeschoben werden!


Hilfe für die Menschen in Afghanistan kann deshalb nur so aussehen, jetzt (eigentlich viel zu spät) möglichst viele aus diesem Land herauszuholen und ihnen einen sicheren Platz zum Leben und Schutz vor den Übergriffen und dem Terror der religiös verbrämten Eiferer zu bieten.
Nicht mehr – aber auch nicht weniger – gebietet der gesunde Menschenverstand, wenn er sich vom Humanismus und den Werten unserer Gesellschaft leiten lässt.
Und nicht mehr – aber auch nicht weniger – gebietet die Verantwortung, die wir Deutschen durch den Einsatz unserer Soldaten in diesem unglückseligen Krieg übernommen haben, der schon in den letzten Jahren die Flüchtlingsströme immer weiter anschwellen liess.

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Bleibt zum Schluss meiner Überlegungen noch ein Zitat, dass mir seit der Entsendung der ersten deutschen Soldaten nach Afghanistan im Jahr 2002 nicht mehr aus dem Kopf gehen will, weil es mir nie wirklich plausibel erscheinen wollte:

Landesverteidigung steht für die Bundeswehr „nicht mehr an der ersten Stelle“:
„Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt“, betonte Verteidigungsminister Peter Struck (SPD).

gefunden in einem Beitrag der „telepolis“ vom 02.12.2002
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Geglaubt habe ich Herrn Struck diesen Satz schon damals nicht….. denn wo ein Wille gewesen wäre, hätte es sicher auch einen Weg gegeben, sich nicht mit da hineinziehen zu lassen?

Obwohl ich den Herrn Struck ansonsten für einen durchaus integeren Mann gehalten habe – im Gegensatz zu unserem damaligen Bundeskanzler Schröder, der nichts Besseres zu tun hatte, als sich den USA als treuer Vasall anzubieten und damit ganz sicher mitverantwortlich für das Drama ist, dass den Menschen Afghanistans nun bevorsteht.


Euch dennoch einen friedlichen Nachmittag und eine ruhige Nacht.
Bleibt gesund und bleibt behütet!
Wir lesen uns :bye:

Euer heute sehr nachdenklicher


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