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„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Eine Frage der Zeit – Roman

Und nochmal Hallo, liebe Lesefreunde!

Mit dieser Buchvorstellung ist mein Bücherstapel dann auch abgearbeitet, von dem ich neulich geschrieben habe. Wird ja auch langsam mal Zeit, damit auch wieder andere Themen in den Vordergrund rücken können B-)

Wobei ich lesend-technisch allerdings immer noch im Thema bleibe, das meine Leseinhalte in den letzten Wochen bestimmt hat. Wir sind also mit diesem Buch immer noch am Wasser und sogar in Afrika und damit im Kontext der beiden zuletzt vorgestellten Bücher, in denen es ursprünglich um die „African Queen“ und im weiteren um die Ereignisse am Tanganjikasee in den Jahren 1914/1915 ging und um ein Schiff, das dabei eine Rolle gespielt hat: die Goetzen (heute „Liemba“), die aus über Land transportierten Einzelteilen erst dort zusammen gebaut wurde. Diesmal allerdings beleuchtet aus der deutschen Perspektive, während die beiden vorher gelesenen Bücher meiner kleinen Lesetrilogie ja aus englischer Sicht geschrieben waren:

Eine Frage der Zeit
von Alex Capus

Was natürlich bedingt, dass auch die Protagonisten der Geschichte ( und insbesondere der englische Commander Spicer-Simson) in diesem Buch wieder eine Rolle spielen, obschon es tatsächlich mehr Roman als Tatsachenbericht (wie das Buch von Giles Foden ) ist.

Denn Alex Capus nimmt sich für seinen Roman nicht nur die Freiheit, die historischen Ereignisse etwas zurecht zu biegen, sondern auch ihren Protagonisten ein „Eigenleben“ zu geben. Insbesondere den drei deutschen Schiffbauern , die mit dem „Bausatz“ der Goetzen zusammen von Papenburg nach Afrika reisen mussten, um sie dort zu montieren. Wobei es allerdings im Verlauf der Geschichte immer weniger um deren Arbeit und exotische Erlebnisse geht als um deren sich wandelnde Einstellung zu diesem Job, als während ihres Aufenthaltes in Afrika plötzlich der Krieg ausbricht:

Anfangs voller Abenteuerlust und Stolz auf Ihre so besondere Aufgabe (und die damit verbundene fürstliche Entlohnung) müssen die drei sich nämlich entscheiden, wie sie dazu stehen, dass aus dem ursprünglich als Postdampfer und Handelsfahrzeug geplanten Schiff nun ein Kriegsschiff werden und sie gegen ihren Willen zum Dienst darauf gepresst werden sollen:
Was einer der drei mit stoischer Ruhe über sich ergehen lässt, führt bei den beiden anderen zur Opposition, teils durch offenen Protest gegen die Willkür des Kommandanten, teils aber auch durch bewusstes Verschleppen ihrer Arbeiten und Sabotage (mit Hilfe eingeborener Freunde durch das Verschwindenlassen wichtiger Bauteile)- und damit auch zur Eskalation im Verhalten des Kommandanten, der mit allen Mitteln versucht, die Fertigstellung der „Goetzen“ zu erzwingen und dabei auch vor psychischem Druck den Arbeitern gegenüber und physischer Gewalt gegen die eingeborenen Helfern der Saboteure nicht zurückschreckt….

Letztendlich nutzt das aber alles nichts.
Zwar wird die „Goetzen“ doch irgendwann noch fertig, kommt aber nicht mehr zum Einsatz, weil der Kommandant nach dem Verlust seiner beiden anderen Schiffe (durch Angriffe von Spicer-Simsons Truppe) sie für zu wertvoll hält, um ihren Verlust auch noch zu riskieren und sie pradoxerweise schlussendlich lieber selbst versenkt, als sie in die Hände der Engländer fallen zu lassen.

Und damit komme ich zu dem, was mir an Capus‘ Buch wirklich gut gefallen hat:

Obwohl er sich im weitesten Sinne doch an den historischen Tatsachen der Ereignisse von 1914/1915 orientiert, ergeben seine kleinen „Anpassungen“ der Geschichte und die frei gestalteten (und teilweise etwas überzeichneten) Protagonisten in Person der drei Schiffbauer doch ein ganz anders Bild als das, was man anderswo über diese Ereignisse liest:

Denn gerade bei diesen drei Männern spürt man nichts vom Hurra-Patriotismus, der oft mit dem Beginn des ersten Weltkrieges in Verbindung gebracht wird, sondern erlebt an ihrem Beispiel auch die Zweifel, die dabei in vielen Menschen mitgeschwungen haben werden. Wobei natürlich auch ihre eigenen Wünsche und Ziele eine grosse Rolle spielen (nach einem bessern Leben durch das verdiente Geld, nach exotischen Abenteuern in fernen Ländern, nach Anerkennung und Beförderung für gute Arbeit usw. ), aber auch friedenspolitische Prinzipien der Gewerkschaft, der einer von Ihnen angehört – und auch die Tatsache, dass keiner der drei sich zum Helden geboren fühlt oder gar freudig in den Krieg ziehen möchte. Denn im Grunde ist die weltpolitische Lage den drei Arbeitern völlig egal und spielt auf einer ganz anderen Ebene.
Um so spannender ist deshalb, wie sie darauf reagieren:
Einer durch Anpassung, einer durch offenes Widersetzen und einer durch heimliches Handeln im Untergrund, initiiert jeweils vor allem durch ihre eigene Einstellung.
Was wieder einmal die Frage in mir aufwirft, wie ich mich an deren Stelle verhalten hätte?

Insoweit also halte ich Capus‘ Buch für wirklich lesenswert, zumal die Verankerung der Handlung in den Ereignissen am Tanganjika-See der Geschichte nochmal eine ganz besondere Note verleiht, weil keiner der Protagonisten der Situation entkommen kann.
Das mir auch Capus‘ lockerer Schreibstil wirklich gut gefällt mit seiner gelegentlichen Situationskomik und seiner flüssigen Lesbarkeit ist in diesem Zusammenhang nur noch das Sahnehäubchen obenauf und könnte zum Anlass werden, weitere Bücher des Autors zu lesen
Deshalb ohne Wenn und Aber:

-_-_-_-

Der Klappentext:

Eine unglaubliche, doch wahre Geschichte: 1913 beauftragt Kaiser Wilhelm II. drei norddeutsche Werftarbeiter, ein Dampfschiff in seine Einzelteile zu zerlegen und am Tanganikasee südlich des Kilimandscharo wieder zusammenzusetzen. Der Monarch will damit seine imperialen Ansprüche unterstreichen. Zur gleichen Zeit beauftragt Churchill den exzentrischen, aber liebenswerten Oberstleutnant Spicer Simson, zwei Kanonenboote über Land durch halb Afrika an den Tanganikasee zu schleppen. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, liegen sich Deutsche und Briten an seinen Ufern gegenüber. Keiner will, aber jeder muss Krieg führen. Alle sind sie Gefangene der Zeit und jeder hat seine eigene Art, damit fertig zu werden.

Amazon

Habt alle einen feinen Sonntag und bleibt gesund und behütet!
Wir lesen uns :bye:

Euer Wilhelm,

der hoch und heilig verspricht, Euch in den nächsten Tagen nicht mit weiteren Buchvorstellungen zu quälen….


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- 6 Bemerkungen zu “Eine Frage der Zeit – Roman

  1. Wilhelm, du „Leseratte“. Bei meinen Blog-Besuchen bei dir ist mir schön länger aufgefallen, dass du viel liest. Chapeau, denn ich kriege das nicht (mehr) hin – auch wenn ich es mir immer wieder mal vornehme. Doch mir fehlt die nötige …, ich sag‘ mal „Ruhe“ dazu, um mich ein, zwei Stunden still hinzusetzen und zu lesen. Gibt’s dagegen was von Ratiopharm oder so ;) Hier liegen nämlich mittlerweile mehrere Bücher, die gelesen werden wollen.

    1. Das ich mich tagsüber zwei Stunden hinsetzen würde, um zu Lesen ist eigentlich eher die Ausnahme, die nur stattfindet, wenn ein Buch extrem spannend ist. Hin und wieder mal eine halbe Stunde zwischendurch ( und gerne auch im Porzellanstudio, statt die Kacheln zu zählen) ist da eher die Regel – und natürlich nachts, wenn ich nicht schlafen kann…
      Meine Hauptlesezeit ist aber tatsächlich Abends im Bett, gemütlich eingekuschelt und gelegentlich (seit ich nicht mehr arbeite) bis tief in die Nacht. Da kommen dann oft schon mal 200 Seiten oder mehr zusammen, die ich am Stück in mich rein ziehe.
      Und damit erklärt sich auch mein Lesetempo :-)

  2. Das Buch scheint Dich wirklich sehr beeindruckt zu haben.
    Schade eigentlich, dass damit Dein Lesestapel angetragen ist. Aber Du wirst ja sicherlich auch weiterhin lesen und davon berichten, wenn auch nicht so dicht aufeinander. Und darauf freue ich mich.

    1. Das Buch hat mir tatsächlich gut gefallen und schwingt auf subtile Art auch immer noch nach.

      Und was den Stapel angeht: soviel, wie ich momentan lese, wird die nächste Buchvorstellung wohl auch nicht mehr lange auf sich warten lassen.

  3. Hallo Wilhelm,

    wahrscheinlich ist das interessante an den drei Schiffsbauern, das sie eben keine Soldaten sind. Und somit auch nicht zu Helden geboren. Die „normale“ Bevölkerung hatte wahrscheinlich eine ganz andere Sicht auf den Krieg.

    Ich wünsche euch einen schönen Restsonntag.
    Liebe Grüße
    Trude

    1. Soldaten sind vermutlich auch nicht zum Helden geboren – welcher Mensch ist das schon?
      Wobei dieser Punkt eigentlich auch nur ein Nebenpunkt meiner Gedanken zu diesem Buch ist, bei dem mich vor allem der andere Blickwinkel beeindruckt hat, mit dem der Autor auf die Geschichte blickt:

      Der Krieg ist dabei zwar ein zentrales Thema, aber nicht Soldaten sind die „Helden der Geschichte“, sondern die drei Männer aus Papenburg, die eigentlich nichts damit zu tun haben und doch mit hinein gezogen werden…

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