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„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Das Selbe ist nicht das Gleiche

Guten Tag zusammen!

Sicher hat jeder von uns in den letzten Tagen die Meldungen um das verschollene U-Boot vor Neufundland verfolgt, in dem fünf Abenteurer das Wrack der Titanic besuchen wollten. Was nicht gut ausgegangen ist, wie wir seit gestern Abend wissen.

Genauso wenig gut, wie der Versuch von neununddreissig Menschen, die fast gleichzeitig – auf der anderen Seite des Atlantiks, vor den Kanarischen Inseln – gestorben sind bei ihrem Versuch, vor den Lebensumständen in ihren Herkunftsländern zu fliehen – und von über fünfhundert Menschen, die beim gleichen Unterfangen gerade ein paar Tage zuvor im Mittelmeer ertrunken sind.

Wobei schon auffällt wie unterschiedlich der Widerhall auf diese Ereignisse ist. Auf der einen Seite die Abenteurer, über die gross und breit in allen Medien berichtet wird und deren Tod nun grosse mediale Anteilname auslöst – und auf der anderen Seite die vielen Namenlosen, nach deren Schicksal man in den Medien regelrecht suchen muss, wenn man mehr darüber erfahren will.
Weil es offenbar niemanden so richtig interessiert?

(c) Klaus Stuttman – mal wieder bitterböse, aber dafür um so treffender

Schlimm für alle Beteiligten, hier wie dort, das ist überhaupt keine Frage. Denn jedes Menschenleben ist zuviel, was auf dem Meer verloren geht – egal, ob es nun Millionäre auf ihrer Luxusreise trifft oder Menschen auf der Flucht, die für die gefährliche Überfahrt ihr letztes Hemd gegeben haben.

Schlimm auch die Doppelzüngigkeit, die zur Zeit in der Berichterstattung (und auch in der „öffentlichen Meinung“ ?) zutage tritt – denn offenbar zählt darin tatsächlich mehr, wer genug Geld hat, um ohne Not ein hohes Risiko eingehen zu können.
Doch immerhin fällt das inzwischen sogar der Presse auf – wie etwa hier in einem Beitrag der neuen Züricher Zeitung:

Medien pushen sich gegenseitig hoch

Und dann sind da, natürlich, die Medien. Die Geschichte der «Titan» hat Seltenheitscharakter, während tote Migranten längst zur Gewohnheit geworden sind. Die Komplexität der Suche, Hintergründe, Finanzen, Technik oder der stupende menschliche Grössenwahn. Da ist so viel Stoff, der sich gut erzählen lässt. Der nie so erzählt wurde.

Ein alter Medien-Mechanismus setzt ein, der durch die sozialen Netzwerke und den Online-Journalismus verstärkt worden ist. Die grossen Medienhäuser der Welt schreiben über eine Geschichte, und weil das eine Newsportal seinen Text ganz oben auf die Website stellt, muss das andere nachziehen. Die Leser klicken auf die Texte, weil sie die prominent platzierte Meldung für wichtig halten. Die Klickzahlen schiessen in die Höhe, und die Medienhäuser wiederum sehen sich in ihrer Priorisierung bestätigt. Man pusht sich gegenseitig hoch.

NZZ

Wobei mich daran am meisten schockiert, dass dennoch niemand kritisiert, was da im Hintergrund abläuft:
Millionen über Millionen, die für ein äusserst zweifelhaftes Vergnügen verpulvert werden (und Millionen, die auch durch die reisserischen Pressemeldungen dazu verdient werden), stehen da gegen die blanke Not und das Schicksal derjenigen, die manchmal nicht mal wissen, wo sie die Lebensmittel und das Wasser für den nächsten Tag herbekommen sollen.

Was sich selbst noch in den Rettungsaktionen widerspiegelt: Für die einen ist kein Aufwand hoch genug, während man für die anderen nicht mehr als ein betroffenes Schulterzucken übrig hat.

Irgendwas läuft da ziemlich verkehrt auf unserer Welt….


Euer Wilhelm,

der Euch das Thema gerne erspart hätte,
es aber dennoch für wichtig genug hält um es Euch zuzumuten;
dem heute deswegen allen guten Wünsche nur schwerlich in die Tatstatur fliessen wollen,
der Euch aber dennoch wünscht, dass ihr auch heute gesund und behütet bleibt;
und der morgen hoffentlich wieder über etwas erfreulicheres schreiben kann….

Wir lesen uns :bye:


-992-

- 20 Bemerkungen zu “Das Selbe ist nicht das Gleiche

  1. Man hört ja nicht auf, auf eine gerechte Welt zu hoffen, allein mir fehlt der Glaube!
    Was hätte man alles Gutes tun können mit diesen Unsummen, die für ein aus meiner Sicht unsinniges Unternehmen verpulvert worden sind. Millionenschwere Abenteurer zahlen dafür, sich als „Entdecker“ (von was eigentlich?) fühlen zu wollen. Und das Abenteuer misslingt tragisch (ein bewusst eingegangenes Risiko) und die Rettungsaktionen verschlingen weitere ungeheure Summen.

    Ich gebe zu, dass ich mein Mitgefühl in diesem Zusammenhang nicht strapazieren werde.

    Ganz anders als bei den furchtbaren Unglücken, die aus der Not geboren sind und Solidarität und Hilfe brauchen.
    Aus Altersgründen beschränkt diese sich in meinem Fall inzwischen auch nur mehr auf finanzielle Unterstützung nach dem Motto „every little helps“.

    1. Das ist bei uns ja nicht anders. Aber ich denke, Geld ist auch nicht verkehrt. Wir unterstützen United4Rescue monatlich mit einem festen Betrag, genauso wie Ärzte ohne Grenzen.

    2. Mein Mitgefühl – und das gestehe ich auch offen ein – liegt in dem Fall auch mehr bei denen, die keinen anderen Weg für sich sahen als den einer gefährlichen Flucht übers Meer.

      Auch wenn mir das Schicksal der fünf Männer im U-Boot ebenfalls nahe geht – und obwohl ich denke, dass IHRE Entscheidung nicht alternativlos war, wie bei den Menschen auf den Flüchtlingbooten. Was auch hätte so aussehen können, ihr Geld so einzusetzen, wie Du es oben angedeutet hast.

      Aber dafür hat ihnen wahrscheinlich der Thrill gefehlt und der Nervenkitzel, den so ein Tauchgang bietet.

    1. Einerseits ein guter Vergleich, anderseits aber hätte man sich auf dem unteren Bild das übergrosse Logo sparen sollen.
      Denn so wirkt es fast, als würde sich die Satire-Show als einziger Retter generieren.

      Was sicher so nicht beabsichtigt war, aber in meinen Augen trotzdem eher unglücklich wirkt :scratch:

  2. Ich glaube nicht, dass es für die Berichterstattung über den misslungenen Tauchgang wichtig ist, dass reiche Menschen sich an dieser Expedition versucht haben.
    Erstens ist die Titanic immer noch ein Mythos. Alles, was mit ihr zusammenhängt, wird aufgegriffen.
    Zweitens ist der Unfall ansich spektakulär, vergleichbar mit einem Flugzeugabsturz oder Zugunglück.

    1. Damit könntest Du recht haben – dennoch gibt es aber diese Diskrepanz in der Priorität der Berichterstattung , die meines Erachtens nach nicht gerechtfertigt und auch nicht wegzudiskutieren ist. Denn offenbar ist es keine Sensation mehr, wenn Menschen auf der Flucht sterben, wohl aber, wenn jemand sich auf ein riskantes extrem teures Abenteuer einlässt und dabei selbstverschuldet umkommt, dem gleichzeitig in allen Meldungen seine Wohlhabenheit als Attribut angehängt wird.

      Ein Abenteuer im übrigen, das keiner der Bootsflüchtlinge (und auch sonst nur wenige Menschen) sich hätte(n) leisten können….

    2. Selbst wenn das keine Rolle spielt, bleibt die Diskrepanz zur Berichterstattung über mehrere hundert tote Flüchtlinge alleine in der letzten Woche.

      1. Was gestern war, ist heute vergessen. Auch die toten Flüchtlinge waren, und sind es immer noch, in meinen Nachrichtenseiten sehr präsent.
        Was mir bei aller Anteilnahme allerdings viel mehr Sorgen macht, ist die unakzepable Zustimmung zu den Kackblauen. Was soll man dagegen tun? Einfach ignorieren und versuchen, die Politik so auszurichten, dass dieser Verein wieder zurückgedrängt wird, dem Verein und seinen Vertreten in den Medien keine Bühne mehr geben?

        1. Dann such doch mal bei der Tagesschau nach dem Thema….

          Da U-Boot stand heute den ganzen Tag ganz oben, die Kastrophe vor den Kanarischen Inseln fand ich nur nach einigem Suchen ganz weit unten auf einen Unterseite – und die fünfhundert Toten vor Griechenland aus der letzten Woche sind überhaupt nicht mehr präsent.
          Und so ähnlich sieht es auch auf heute.de aus oder beim Spiegel, beim Stern usw. – um von Mopo und Blöd mal gar nicht zu reden…

          1. Im Moment geht es ja wohl eher um die technischen Gründe des Unglücks, wobei vieles dabei wohl spekulativ ist und erst geklärt werden kann, wenn überhaupt, wenn alle verfügbaren Fakten auf dem Tisch liegen. Ganz ehrlich: Mich interessieren die Hintergründe auch sehr, unabhängig davon, dass Menschen ums Leben gekommen sind und woanders Hunderte ertrunken sind, und wohl täglich auch weitere Flüchtlinge ums Leben kommen, ohne dass es jemals bekannt wird.

            1. Mir zumindest ist der technische Kram in dem Zusammenhang ziemlich wumpe.

              Die Herren haben was machen wollen, dem ihr Gefährt technisch oder konstruktiv nicht gewachsen war. Dabei ist es doch völlig egal, ob der Druckkörper nachgegeben hat oder einfach nur ’ne Schraube locker war. Das Ergebnis bleibt das Gleiche und hilft mir persönlich auch keinesfalls weiter, weil ich mich sowieso nicht auf eine derartige Reise begeben würde – genausowenig wie dem grossen Rest der Welt, der ganz andere Probleme hat…

              1. Ich bin nun mal technisch interessiert. Ich möchte wissen, ob ein Flugzeug abgeschossen wurde oder warum es möglich war, ein gegen ein Bergmassiv zu steuern und die Passagiere in den Tod zu reissen. Ich möchte wissen, ob ein Schiff auseinandergebrochen ist weil es falsch beladen wurde oder ob das als eine Folge von Alterung passiert ist. Ich möchte wissen, warum eine Achterbahn entgleist ist oder ein Zug. Und ich möchte wissen, warum die Titan implodiert ist oder sonstwie zu Schaden gekommen ist – unabhängig davon, dass ein paar Menschen viel Geld für den Trip bezahlt haben und andere Menschen leider sterben müssen, weil sie in ihrer Heimat keine Perspektive haben.

              2. Moin, Hans-Georg.

                Über die Antwort auf Deinen letzten Kommentar musst ich erst einmal eine Weile nachdenken.
                Denn ich glaube nicht, dass Dir Menschenleben so egal sind, wie das vordergründig in Deinem Kommentar rüberkommt.

                Natürlich gibt es – und das gilt für mich auch – so etwas wie einen Technik-affine Neugier – und sie macht auch für mich als Realitäts-betonten Menschn Sinn, wenn es darum geht, Dinge oder Ereignisse und ihre Funktionsweise zu verstehen. So gesehen macht natürlich auch die Berichterstattung über die U-Boot-Katastrophe keine Ausnahme, weil sie möglicherweise Erklärungen liefert, um das Ereignis für sich selbst einordnen zu können. Insoweit bin ich da auch mit Dir einig.

                Anderseits – und darauf hob ich mit meinem Posting ab – ist da aber auch noch die emotional-empathische Ebene, also das Bauch-Gefühl, was ich zu der Geschichte habe, abseits der rein technik-lastigen rationellen Betrachtungsweise. Und das sagt mir, dass sowohl in der Berichterstattung als auch im Umfang der Rettungsaktionen eine mächtige Schieflage besteht, gemessen an den puren Zahlen und an der Ausgangslage der Opfer:

                Während sich die Einen ohne Not und ohne Zwang von aussen aus purem Vergnügen in Gefahr begeben haben (wobei auch das nötige Kleingeld eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben mag) – blieb den Anderen eben kein anderer Weg als die gefährliche Reise übers Meer, um ihrer bedrückenden Lebenssituation zu entgehen. Vermutlich waren auch die sich des Risikos bewusst, in welche Gefahr sie sich dabei begeben – und dennoch war es für sie offenbar der einzige Ausweg:
                Die Wahl zwischen“vielleicht dabei umkommen“ oder „ganz sicher dort zu Grunde gehen, wo sie vorher waren“.
                Alleine aus Jux und Dollerei hat sich also keiner der Flüchtlinge auf den Weg gemacht….sondern eher aus dem Zwang heraus, ein besseres Leben zu bekommen als das, was sie haben.
                Selbst, wenn sich auch in den Herkunftsländern inzwischen herumgesprochen haben dürfte, dass auch das Leben hier bei uns kein Zuckerschlecken ist.
                Aber die Hoffnung (darauf) stirbt ja bekanntlich zuletzt.

                Und dieser Unterschied ist es auch, der als Massstab meiner Empathie zugrunde liegt, zumal ich auch die Fluchtgeschichte meiner eigenen Familie kenne. Denn auch die Familie meines Grossvaters und meiner Mutter konnte nicht in Pommern bleiben, wo sie bis zum Krieg gelebt hat, sondern musste flüchten, wenn sie überleben wollte. Dazu hätte es keine Alternative gegeben nach allem, was damals über die blutige Rache der Russen bekannt war.
                Deshalb kann ich auch jeden verstehen, der sich aus ähnlichen Gründen auf den Weg macht – und deshalb ist mein Mitgefühl und mein Interesse an den technischen Hintergründen auch eher gering, wenn Menschen sich aus purem Übermut Gefahren aussetzen und dabei zu Schaden kommen. Auch, wenn ich deren Tod im Grunde genauso bedauere, wie den der Ertrunkenen im Mittelmeer.

              3. Mit ist durchaus bewusst, dass du deine Kommentare überdenkst und nicht aus der Hüfte schiesst, eine Sache, die man mir schon während meiner Berufsjahre manchmal zum Vorwurf gemacht habe. Ich reagiere in vielen Dingen eher kurz, knackig und sachlich, was manchmal einen falschen Eindruck über mich hinterlässt. Obwohl ich oft auch ein sehr emotionaler Mensch und sehr nah am Wasser gebaut bin.

  3. Ganz genau so sehe ich das auch. Hast du ja bei mir schon gelesen. Und das ist leider bei vielen Dingen so. Daran könnte man verzweifeln, aber das bringt ja auch nichts.
    Ich habe versucht, Hans-Georg zu verstehen. Aber ich denke, ihr redet völlig aneinander vorbei. Technik ist das eine, aber fehlende Menschlichkeit das andere. Es ist ja nicht die Berichterstattung alleine, sondern der ganze (finanzielle) Aufwand der für die Rettung dieser Abenteurer betrieben wurde, Geld, das man sehr viel besser hätte investieren können. Was nicht heißen soll, dass man diese Menschen von vornherein ihrem Schicksal hätte überlassen sollen. Aber das alles ist schon sehr bedenklich.
    Herzliche Grüße – Elke

    1. Danke für Deinen Hinweis Elke!

      Aneinander vorbei geredet, das trifft wohl den Nagel auf den Kopf bezogen auf den Dialog zwischen Hans-Georg und mir.
      Und ich hoffe, dass ich (dank Deines Hinweises) in meiner letzten Antwort an ihn ein bisschen was wieder grade rücken konnte.

  4. So, da bin ich. Und Stimme dir zu. Währenddessen feiert Mr. Branson einen gelungenen Kurztrip ins All, der demnächst für läppische 450.000 $ zu haben sein soll.
    Und gestern hat er davon geschwafelt, dass er sich für alle Menschen, unabhängig von Geschlecht, Ethnie, Hautfarbe…. etc gleichberechtigte Teilhabe im All wünscht. Dabei kriegen wir das nicht einmal auf der Erde hin🙈.
    Das wird dann möglicherweise das nächste tragische Unglück, wobei bei Branson sicherlich zumindest ordentliches Material eingesetzt wird.

    1. Auch Dir ein herzliches Willkommen, Annuschka :-)

      Ja, die Scheere zwischen Arm und Reich und dieses Missverhältnis zwischen dem masslosen Luxus auf der einen Seite und der gandenlosen Armut auf der anderen…
      Das ist etwas, wo ich mich frage, welche Kinderstube Menschen eigentlich hatten, die so mit ihrem Geld herumprotzen?
      Ich für meinen Teil würde mich wohl schämen, wenn ich so rumprotzen würde, ohne Rücksicht auf die zu nehmen, die das nicht können, oder zumindest soviel abzugeben, dass es ein paar Menschen besser geht…

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