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„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Das Sonntagszitat 51/22

Einen schönen vierten Adventssonntag Euch allen!

Alle Jahre wieder, kurz vor Weihnachten, häufen sich im Briefkasten die Bettelbriefe, mit denen alle möglichen Organisationen sich ein Stück vom Spendenkuchen sichern wollen, den es wohl besonders in dieser Jahreszeit zu verteilen gibt. Oft auch noch mit beigepackten bunten Flyern und vorgedruckten Überweisungsträgern oder (ein wenig moderner ) mit einem Barcode, um die notwendigen Daten möglichst komfortabel ins Onlinebanking übernehmen zu können..
So war das bisher und so wird es wohl auch ewig bleiben, auch wenn wir seit unserem Eintrag in die Robinsonliste von derartig professionell-mitleidtriefenden Schreiben inzwischen weitgehend verschont sind und – ich zumindestens – bis auf zwei Fundstücke in meiner Mailbox auch sonst keine derartigen Schreiben zu verzeichnen hatte, die meist nicht weit von einer emotionalen Erpressung entfernt sind, zumal man als Empfänger derartiger Post ja auch immer persönlich angesprochen wird und fast schon ein schlechtes Gewissen bekommt, wenn man sie ignoriert.

Was in ähnlicher Form wohl auch für die sogenannten Spenden-Galas gilt, die alljährlich kurz vor Weihnachten über die Bildschirme flimmern mit ihrer Diskrepanz von herzzerreissenden Bildern bitterster Armut und herausgeputzten Show-Acts, die vermutlich schon vorab einen dicken Brocken der auf diese Art eingesammelten Gelder verschlingen…
So dass ich mir – hier wie dort – immer wieder die Frage stelle, wie man guten Gewissens für einen guten Zweck werben will, wenn auf der anderen Seite schon vorab ein erheblicher Teil der Spenden zur Finanzierung der Spendenkampagne einkalkuliert wird.
Egal ob für Flyer, Porto und (nicht unerheblich) für die Daten potentieller Spender oder für Produktionskosten und Gagen der sich selbstdarstellenden Akteure in den aufwändig produzierten Galas…..

Nicht, dass ich prinzipiell etwas gegen Spenden hätte – im Gegenteil, auch wir geben jeden Monat Geld für wichtige Projekte ab – aber diese moderne Form der Bettelei stösst mir denn doch immer wieder ziemlich bitter auf.
Und etwas mehr Bescheidenheit täte in Zeiten wie diesen sicher allen Beteiligten gut, in denen ein Grossteil der angesprochenen Zielgruppe angesichts der stark gestiegenen Lebenshaltungs-Kosten selbst schon mit dem Hintern platt an der Wand steht und nicht weiss, wie er in Zukunft Heizkosten, Strom und Lebensmittel bezahlen soll.
Wozu dann auch noch kommt, dass ein Teil der eingeworbenen Spenden für Zwecke bestimmt sind die unter normalen Vorzeichen schon seit jeher Teil staatlicher Vorsorge wären – Etwa, wenns um die Ausstattung der Tafeln mit ausreichend Mitteln geht oder um Obdachlose, denen in unserer Stadt nicht mal ein warmer Raum über die wenigen Nachtstunden hinaus zugestanden wird.

Aber das ist nun mal so, wie es ist:

Noch niemals hat mich auf der Straße jemand aufgefordert, für Kernwaffen Geld zu spenden. Offenbar deshalb, weil die Regierungen für Waffen stets genug Geld zur Verfügung haben. Aber unzählige Male haben mich Menschen mit Sammelbüchsen um eine Spende für Arme, Kranke, Alte und Kinder gebeten. Es mag der Phantasie jedes einzelnen überlassen bleiben, sich auf diese Ungereimtheiten einen Vers zu machen.

Sir Peter Ustinov

Und ich fürchte, daran wird sich auch nichts ändern, schon gar nicht, solange mit der Fassade einer heilen Welt weiter so grosspurig für Spenden geworben wird, statt offen den Finger in die Wunden zu legen und die Ursachen zu benennen, die Menschen in die Notlage bringen, auf Spenden angewiesen zu sein…..

Was im Umkehrschluss für mich bedeuted, mich sicher nicht an derartigen Grossaktionen zu beteiligen, sondern das, was ich abzugeben habe denen zu geben, die nicht lautstark auf sich aufmerksam machen und kaum einen Cent aus diesen Aktionen bekommen:
Den Menschen in den Flüchtlingslagern etwa oder den Obdachlosen in unserer Stadt durch Mitfinanzierung eines Hotelprojektes als menschenwürdige Unterbringung während der kalten Wintertage…..


Und dennoch:
Hat einen schönen vierten Adventssonntag und bleibt gesund uns behütet!
Wir lesen uns :bye:

Euer Wilhelm,

der sich jedes Jahr aufs neue über die professionelle Bettelei ärgert……


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- 14 Bemerkungen zu “Das Sonntagszitat 51/22

  1. In der Tat sind manche Dinge in ihrer inneren Widersprüchlichkeit nur sehr schwer zu ertragen.
    Wir schauen auch, dass wir möglichst dort Spenden (oder ein Spendenabo eingerichtet haben), wo nur wenig Geld ins Organisieren der Organisation fließt – oder eben direkt bei den Menschen auf der Straße.

  2. Früher gab es tatsächlich mehr davon. Vor allem per Post. Ich habe mich mal mit einem Menschen von der Christoffel-Blindenmission ziemlich gefetzt, weil die nicht aufhören wollten, mich mit Post zuzuballern. Unterm Strich lohnt sich der ganze Aufwand aber eben doch, sonst würden sie ihn nicht betreiben.
    Aktionen wie Hand in Hand für Norddeutschland vom NDR finde ich noch ganz okay, zumal ich am Rande sehr direkt mitbekomme, wohin das Geld geht, wenn die Diakonie mit im Boot ist.

    1. Nicht nur die Blindenmission, sondern auch mein Arbeitgeber aus früheren Zeiten konnte das gut, eine grosse christliche Anstalt mit schon seit Jahrzehntem „professionellen Spendenmanagment“ und immer auf der Mitleidswelle reitend…..

  3. Du hast ja so recht – und wenn es mit Deutschland so weiter geht, werden immer mehr Teile der Bevölkerung als „arm“ betitelt werden müssen, weil sie unter dem Existenzminimum leben
    Ich habe leider auch nicht das Gefühl, dass sich das positiv verändern wird.
    Und tschüss und liebe Grüße an dich

    1. Da gebe ich Dir Recht. Eine Änderung zum Positiven sehe ich auch nicht, schon gar nicht nach der langen Zeit, in der immer mehr Sozialleistungen abgebaut wurden und vieles an staatlichen Aufgaben privatisiert worden ist.

  4. Radio Hamburg hat ja jedes Jahr auch eine Spendenaktion, bei der für bestimmte Objekte gesammelt wird, z.B. ein Spezialauto für eine Familie mit einer behinderten Tochter, Reittherapie und vieles mehr. Wenn dann die Familie angerufen wird wenn der benötigte Betrag zusammengekommen ist, fliessen oftmals Tränen am Telefon. Die Aktion von Radio Hamburg ist sicherlich toll, aber es macht ein schlechtes Gewissen, der tränenerstickten Stimme zuhören zu müssen. Eine stille Spendenaktion für notwendige Therapien oder Objekte wäre sicher angemessener und vielleicht für die Betroffenen auch sensibler.

    1. Besonders bezogen auf den letzten Satz gebe ich Dir Recht, auch wenn damit vermutlich etwas weniger Spendengelder generiert werden würden.
      Schliesslich muss es ja nicht sein, dass Menschen in ihrer hilflosen Lage auch noch instrumentalisiert werden, damit die Hörerzahlen gestiegert werden.
      Ausserdem gibts auch genug Beispiele in Form von Stiftungen u.ä. die deutlich geräuschloser agieren.

  5. Was Obdachlose betrifft, habe ich gerade vor wenigen Minuten einen Beitrag über „Defensive Architektur“ gelesen https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2022/12/defensive-architektur-obdachlose-berlin-wohnungslose-stadt-design-ausgrenzung.html Einfach erschreckend! Wir spenden seit Jahrzehnten zum Jahreswechsel, angefangen mit Brot gegen Böller. Vor über 40 Jahren. Dieses Jahr gingen die Spenden an die Kinderkrebshilfe (Forschung) und diesen wunderbaren Verein https://www.kolibrihilft.de/
    Und ja, wir diskutierten letztens auch gerade darüber, wie sehr sich Vater Staat auf dem Rücken vielen gemeinnützigen Organisationen ausruht, statt in die Pflicht zu gehen. Thema war bei uns das zur Diskussion stehende soziale Pflichtjahr. Es gab etliche Pros und Contras. Aber das ist ein anderes Thema.
    Liebe Grüße zu euch,
    Elvira

    1. Diese Art „Architektur“ gibt es in Hamburg leider auch. Sogar die Wartehäuschen vom HVV sind extra offen gebaut, damit sich da ja kein Obdachloser niederlässt.
      Neulich hat hier einer aus lauter Wut einfach was weg gefräst.

  6. Was mich besonders nervt sind die ständigen Spots in den Werbepausen. Manchmal jahrelang der gleiche.
    Diese Art Druck aufzubauen ist nicht angemessen. Es sollte jeder selbst entscheiden, ob, wieviel und wofür er spendet.
    Und wer nichts gibt braucht auch kein schlechtes Gewissen haben. Wir zahlen schließlich Steuern mit denen der Staat denn doch einige Gute Dinge finanziert. Auch wenn das ruhig mehr sein könnte.
    🌈😘😎

    1. Auch, wenns mehr sein könnte.
      Tja. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass viele der Spendenaktionen gar nicht nötig wären, wenn nicht in den vorhergehenden Jahren immer mehr staatliche Leistungen einfach abgebaut wären.
      Hartz IV ist ein gutes Beispiel dafür. Vorher ( noch zu Zeiten der alten Sozialhilfe) mussten lange nicht so viele Menschen Hilfe von Tafeln in Anspruch nehmen, weil deutlich weniger Menschen unter dem Existenzminimum lebten, etwa weil sei Anspruch auf Arbeistlosenhilfe als Versicherungsleistung hatten….

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