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„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Das Sonntagszitat 21/22

Guten Morgen, ihr Lieben !

Auch heute wird das Thema meiner Wochenrubrik kein sonderlich ernsthaftes sein, soviel vorweg. Denn es beschäftigt sich mit einem Thema, das sicherlich nicht die Welt bewegt, in gewissen Kreisen aber gelegentlich zu merkwürdigen Verstimmungen führt und mitunter Ausdruck eines heftigen Klassendenkens ist.

Obwohl mir schon lange bekannt, habe ich mir lange Zeit kaum Gedanken darüber gemacht, bis es mir anlässlich der gemeinsamen Touren mit meiner Liebsten am letzten Wochenende mal wieder auffiel:

„Mich grüsst keiner mehr“

Beim Rollerfahren meine ich, denn darum geht es hier.

Oder genauer: um den Motorradfahrergruss, eine alte Sitte noch aus Zeiten, als alle Welt Auto fuhr, Motorräder ein eher seltenes Phänomen auf deutschen Strassen waren und die wenigen übriggebliebenen, von den Autofahren allenfalls mit Mitleid bedachten Windgesichter sich einen gegenseitigen und respektvollen Gruss erboten, wenn sie sich unterwegs begegneten:

Das hat sich dann irgendwie erhalten, als die Zweiradfahrer wieder mehr wurden und Motorradfahren (in den Siebzigern mit Erscheinen der ersten japanischen Motorräder auf dem deutschen Markt) wieder hoffähiger und „hip“ wurde.

Und damit begannen natürlich auch die Standesdünkel:
Auf der einen Seite die „Alteingessessen“ mit ihren schweren, altmodischen und eher schwerfälligen Maschinen aus deutscher Produktion (meist BMW und Zündapp) oder den etwas moderneren italienischen Guzzis oder englischen Triumphs – und auf der anderen Seite die Japan-Fraktion mit leichteren und agileren, hochmodernen Fahrzeugen, die mit Aufkommen der Ersten Plastik-Vollverkleidungen schnell das abschätzige Image eines „Joghurtschüsselheizers“ angehängt bekamen und von den „Alteisen-Fahrern“ natürlich nicht gegrüsst wurden…
Ähnlich wie Harley-Fahrer, die mit ihrem „Schwermetall“ wieder eine ganz andere „Kaste“ darstellten und mit ihrem Rocker-Image und ihren viel zu laut bollernden Maschinen in späteren Jahren den Ruf der gesamten Motorradgemeinde zeitweilig schwer geschädigt haben….

Und dazwischen das Fussvolk: die Mofafahrer, die Jugendlichen auf ihren „50er-Kreissägen“ mit dem kleinen Versicherungsschild am Heck und die Rollerfahrer, denen von „echten“ Motorradfahren aller Kategorien gerne nachgesagt wurde, Weicheier zu sein, weil ihre Fahrzeuge über ein Beinschild und oft auch eine Windschutzscheibe verfügten….
Die alle wurden natürlich nicht gegrüsst, da gab es strenge Regeln – wie ich noch aus meiner eigenen aktiven Motorradzeit Ende der Siebziger/Anfang der Achtziger weiss….
Das wurde damals per Mundpropaganda so weitergeben und war ungeschriebenes Gesetz, in das jeder eingeweiht wurde, der mit achtzehn endlich den grossen Motoradführerschein erworben hatte und mit seiner ersten „grossen Maschine“ unterwegs war;-)

Allerdings gab es da auch noch keine Websites (und davon gibts jetzt dutzende!) auf denen fein aufgedröselt zu lesen stand, wer wen und wann zu grüssen hat und wem die abgespreizten Finger zu verweigern sind – wie etwa die, von der mein heutiges Zitat stammt:

Welcher Biker wird wann nicht gegrüßt?

Zu schwache Motorräder und Roller. Es gilt die Regel leichte Motorräder mit einem geringen Hubraum (250 cm³) nicht zu grüßen. Ebenfalls sollte man als Biker auch keine Rollerfahrer grüßen, die Ihren Hobel als günstiges Fortbewegungsmittel mit T-Shirt und kurzen Hosen bekleidet fahren.

Motorradbekleidung.net

Ein Seite, die das Thema anscheinend furchtbar ernst nimmt und mit ihren streng formulierten Regeln fast ein wenig an den guten alte Knigge erinnert, der ja auch aller Welt vorgeben wollte, wie man sich zu benehmen hat…. :-(

Aber zum Glück nehmen ja nicht alle das so bierernst wie in diesem abschreckenden Beispiel.

Tatsächlich sprechen die meisten ähnlichen Fundstellen im Netz da eine andere Sprache und tun die ganze Geschichte eher als liebenswürdiges und nicht wirklich ernst zu nehmendes Kuriosum ab – und das ist auch gut so.

Schliesslich ist es ja auch Wurst, ob jemand auf einer superschweren Harley unterwegs ist, auf einer japanischen Kampfhornisse (oder „Reiskocher“ wie die früher auch hiessen), auf einem Roller oder auf einem Mofa: letztendlich haben alle diese Gefährte nur zwei Räder und kein schützendes Blechgehäuse um den Fahrer – und mancher moderne Mofa- oder Rollerfahrer ist heutzutage als Allwetterfahrer mehr Windgesicht als die schnösligen Super-Biker, die ihre schweres Geschoss nur bei strahlendem Sonnenschein bewegen und im Winter gut abgedeckt in der Garage parken.
Oder habt ihr bei Regen, Eis und Schnee etwa schon mal eine Harley auf der Strasse gesehen?
Ich jedenfalls nicht – Mofas und Roller aber schon…..in Mengen, bei jedem Wetter.

Und ausserdem: so deutlich sind die optischen Unterschiede zwischen einigen Motorradtypen heute ja auch nicht mehr. Manche grossen Roller – wie etwa der Herr Peugeot oder die Oma – sehen von vorne betrachtet modernen Motorrädern ziemlich ähnlich, werden deshalb von vielen Motorradfahren auch nicht auf Anhieb als Roller erkannt und demzufolge (irrtümlich??) auch als normaler Teil der Zweiradgemeinde in den Bikergruss mit einbezogen (was mir immer besonders auffällt, wenn ich mal hinter meiner Liebsten her fahre). Doch das gilt offenbar nicht für Frau Honda, deren markante Frontansicht sie eindeutiger als Roller ausweist, obwohl sie kaum kleiner ist als der Herr Peugeot oder die Oma

Nicht dass ich deswegen jetzt böse wäre – im Gegenteil..
Aber es fällt halt schon auf, wenn die freudig zum Gruss gespreizten Finger ganz schnell wieder eingezogen werden, wenn der Herr Peugeot passiert ist und Frau Honda in ein paar Metern Abstand folgt…. und ein wenig merkwürdig fühlt es sich trotzdem an, so offensichtlich ignoriert zu werden…

Aber schlussendlich ist das ja auch nicht mehr als Pillepalle und tut meiner Fahrfreude keinen Abbruch. Viel wichtiger ist für mich, jetzt wieder gut und sicher unterwegs sein zu können – und ohne Angst, mal wieder irgendwo liegen zu bleiben. Und dabei kommt es ja auch wirklich nicht darauf an, ob mich ein Schwermetallfahrer oder Joghurtschüsselheizer grüsst oder nicht…..


In diesem Sinne:
Habt alle einen wunderbaren Sonntag, seid nett zu euren Mitmenschen und bleibt gesund und behütet!
Wir lesen uns :bye:

Euer Wilhelm :-)


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- 13 Bemerkungen zu “Das Sonntagszitat 21/22

  1. Wen muss ich grüßen? Wen darf ich grüßen? Wen darf ich nicht grüßen? Das fehlt mir ein wenig die Frage, wen ich grüßen will. Warum müssen wir uns eigentlich bei solchen schönen mitmenschlichen Gesten auch wieder Vorschriften, Belehrungen und Bewertungen einfallen lassen?
    Möge immer mindestens eine Handbreit Luft zwischen Dir und dem Asphalt bleiben.

    1. Danke für die guten Wünsche :good:

      Tatsächlich ist es so, das mein Beispiel ziemlich exemplarisch dafür ist, wie sich die Zeiten ändern. (siehe auch das Beispiel von Hans-Georg unter diesem Kommentar).

      Ursprünglich gut und nett gemeint und auch Anzeichen für einen gewissen Zusammenhalt hat sich aus dem Motorradfahrergruss im Lauf der Zeit etwas entwickelt, was in eine ganz andere Richtung geht und mehr die Unterschiede als die Gemeinsamkeiten betont…
      Dafür ist die von mir zitierte „Regel“ ein krasses Beispiel, zumal der Verfasser der Seite da auch ziemlich humorbefreit ran geht und seine Formulierungen an andere Stelle sogar ernsthaft verteidigt

      Andere Seiten ( wie auch in meinem Beitrag angeschnitten) verbreiten solche Regeln zwar auch , allerdings deutlich ironischer und karrikierender und meist mit dem Hinweis auf Gemeinsamkeiten aller Zweiradfahrer, die deutlich machen, wie absurd das „Klassendenken“ mancher Motorradfahrer ist…
      Etwa bezogen auf die Schönwetterfahrer, die mit ihren dicken Maschinen bei Regen oder gar Schnee sehr schnell an ihre Grenzen kommen….aber gerne auf Mofa- und Rollerfahren rumhacken, die auch bei solchem Wetter unterwegs sind, ohen darum grossen Wind zu machen

  2. Das Thema erinnert mich an die 50er und 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts, während der ich noch das Glück hatte, die Ferien an und auf der Ostsee verbringen zu können, anfangs auf der kleinen Motoryacht meiner Eltern (damals sagte man noch Motorboot). Im Lauf der Jahre wurde die „Boote“ dann immer etwas größer. Seinerzeit war es üblich, dass man sich, während man auf Flüssen und Ostsee unterwegs war, einen kurzen Gruß mittels handheben, als ein stark abgespecktes Winken, zuwarf, also beim Überholen oder beim Begegnen. Später, als ich nur noch bei Wochenendbesuchen an Bord war, bemerkte ich, dass diese Sitte nur noch vereinzelt anzutreffen war.
    Ich stelle mir jetzt gerade vor, wie ein Oligarch an Deck seiner Superyacht steht und die Segler und Motorbootfahrer huldvoll grüßt.

    1. Ich stelle mir jetzt gerade vor, wie ein Oligarch an Deck seiner Superyacht steht und die Segler und Motorbootfahrer huldvoll grüßt.

      Welch schönes Bild :-)
      Aber: würde der selbst grüssen oder eher einen bezahlten „Winkaugust“ grüssen lassen?
      Leisten könnte er sich das doch?

  3. Zum Glück gibt es solche Niggelichkeiten nicht auf dem Mogo, zu dem ich dieses Jahr gerne wieder hinfahren würde. Da sind alle willkommen und keiner wird schief angeguckt, weil der die „falsche“ Maschine hat.

  4. Ein Grüße-Knigge – was es nicht alles gibt. Als nur Fahrradfahrerin war mir dieses Grüßen unter Motorradfahrern eh nicht bekannt. Dass es da auch Standesdünkel gibt, das hätte ich nicht gedacht.

    1. Solche Grüss-Rituale waren früher auch unter Autofahrern üblich:
      Enten-Fahrer beispielsweise (zu denen ich ja auch eine Weile gehörte) pflegten diese gute Sitte auch – oder die Fahrer des NSU Ro 80, denen gerne mal ihre Motoren um die Ohren flogen:
      Die signalisierten sich mit der Zahl der gespreizten Finger die Zahl der Austauschmotoren, die ihr Auto schon verbraucht hatte ;-)

  5. Ach du meine Güte! Was es nicht alles gibt. Ich bin sehr irritiert und auch ein wenig schockiert. Aber ich lasse ganz ohne Standesdünkel liebe Grüße zum Abend hier.

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