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„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Nur eine Randnotiz?

Guten Morgen Euch allen!

Vorgestern geisterte plötzlich ein Bild durchs Netz und später auch durch die Nachrichten, bei dem es sich angesichts der grossen Weltlage auf den ersten Blick um nicht mehr als eine kleine und eher unbedeutende Randnotiz zu handeln scheint:

Drei Männer auf dem Ruderblatt eines grossen Tankschiffes, die dort angeblich elf Tage zugebracht haben, um als blinde Passagiere von Lagos in Nigeria zur spanischen Insel Gran Canaria zu kommen und so in die EU zu gelangen.
Ohne Proviant (jedenfalls ist auf dem Bild keiner erkennbar) ohne Wasser und offenbar auch nicht gesichert in der unmittelbaren Nähe der Schiffschraube, die sich in kaum einem Meter Abstand von ihnen dreht.

Eigentlich unvorstellbar, wie die drei das elf Tage lang überlebt haben sollen, oder?
Und genau darauf heben auch unzählige Kommentare ab, die sich in einschlägigen Online-Portalen oder unter entsprechenden Pressemeldungen zu diesem Bild finden:
„Fake“ ist noch das harmloseste Wort, was viele der Kommentatoren dazu finden….
(und ich gebe zu, dass war auch meiner erste Gedanke beim Betrachten dieses Bildes)

Dennoch hat mir die Geschichte keine Ruhe gelassen und deshalb habe ich mal versucht, weitere Fakten dazu zu finden, weil in keinem der zahlreichen Berichte die ursprüngliche Quelle dieser Meldung angegeben ist, ausser dass dieses Bild wohl am Montag auf Twitter aufgetaucht sei.

Immerhin habe ich dann aber nach einigem Suchen auf Youtube ein englisch untertiteltes Video eines spanischen Fernsehsenders gefunden, das einigermassen vertrauenswürdig erscheint, zumal darin auch Offizielle der Kanarischen Hafenbehörden zu Wort kommen.
Und wie es scheint, ist dies nicht das erste Mal, dass Menschen versuchen, auf die Art und Weise von Afrika nach Europa zu gelangen. Jedenfalls kann man dem Video entnehmen, dass diese Art des „Reisens“ so ungewöhnlich wohl gar nicht ist und dass es oberhalb des Ruders bei manchen Schiffen auch noch einen kleinen Raum gibt, der entlang des Ruderschaftes zugänglich ist und ein wenig Schutz vor Wind und Wellen gibt.

Also kann man wohl davon ausgehen, dass es sich bei dem Bild aus den Nachrichten nicht um einen Fake handelt, sondern vielmehr um einen weiteren Ausdruck eines der fürchterlichen Auswüchse, die ihre Ursache in der restriktiven europäischen Flüchtlings-Politik haben. Weil sie Menschen zwingt, sich obskuren Schleppern anzuvertrauen, die sie auf fadenscheinigen Booten übers Mittelmeer bringen oder – wie in diesem Fall – das Wagnis einen Reise auf dem Ruderblatt eines Schiffes auf sich zu nehmen, die in vielen Fällen vermutlich tödlich endet.

Was für mich wieder einmal die Frage aufwirft, wie verzweifelt die Menschen wohl sind, die solche Wagnisse auf sich nehmen?

Und ich fürchte, derartige Bilder werden wir wohl noch öfter zu sehen bekommen, weil sich an den politischen Absichten in Europa nichts ändern wird und die Politik der Abschottung mit der neuen faschistischen Italienischen Ministerpräsidentin Meloni jetzt noch weiteren Auftrieb bekommt, ohne dass ihr von anderen Staaten der EU Entscheidendes entgegengesetzt wird.

Dass immer noch täglich Menschen auf dem Meer sterben, immer wieder hunderte von Flüchtlingen tagelang auf Rettungsschiffen sitzen ohne an Land gehen zu können oder an Innereuropäischen Grenzen in menschenunwürdigen Lagern festgehalten werden und unter katastrophalen Umständen leben müssen – das interessiert offenbar niemanden mehr…..


Dennoch:
Habt einen angenehmen Tag und bleibt gesund und behütet!
Wir lesen uns :bye:

Euer Wilhelm,

dem angesichts dieser Überlegungen gerade keine kluge Schlussbemerkung einfallen will…….


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- 14 Bemerkungen zu “Nur eine Randnotiz?

  1. Die Meldung habe ich gestern auch irgendwo gelesen. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass das ein Fake sein könnte.
    Wir können wohl kaum ermessen, wie groß die Verzweiflung dieser Menschen ist, dass sie ihr Leben riskieren.
    Viel tun können wir nicht, aber wir werden zumindest weiterhin United4Rescue mit einem monatlichen Beitrag unterstützen und das Thema immer mal wieder in den Fokus rücken.

    1. Dass es kein Fake ist, war mir eigentlich auch ziemlich schnell klar. Auch schon, bevor ich das Video auf Youtube gefunden hatte. Denn es gibt ja eineige Beispiele, dass Seeleute nach einem Schiffbruch längere Zeit in ihren Rettungsbooten überlebt haben, auch ohne ausreichend Lebensmittel und Wasser.

      Geärgert hat mich allerdings mal wieder das übliche(!) menschenverachtende Rumgewundere in den Leserbriefspalten, was ich dazu gefunden habe. Und deshalb wollte ich es dann doch genau wissen.

  2. Nein, mehr können wir nicht tun. Lediglich die Helfer finanziell unterstützen und versuchen, bei uns selbst keine Müdigkeit zuzulassen. Darum ist es wichtig, dass uns dieses Elend immer wieder vor Augen geführt wird. Danke für diesen Beitrag. Das Foto kannte ich nicht, weil ich gerade keinerlei Nachrichten ertragen kann. Ich befinde mich sozusagen in einem Vogel-Strauß-Modus. Morgens lese ich schnell in der Tagesschau-App und das war es. Wenn ich daran denke, wie ich früher quer durch alle lesbaren und seriösen Zeitungen gelesen habe, erkenne ich mich manchmal selbst nicht wieder. Gleichgültig ist mir das aber keineswegs. Darum Danke!
    Liebe Grüße,
    Elvira

    1. Vogel-Strauss-Modus?
      So gehts mir auch, wobei ich tatsächlich Tage habe, an denen ich nicht mal die Schlagzeilen überfliege, weil ich das Elend langsam nicht mehr ertrage, was da rüberkommt.
      Und nein, das ist auch bei mir keine Gleichgültigkeit, sondern nichts anders als Selbstschutz.

  3. Es ist erstaunlich, dass die Leute die lange Reise überlebt haben. Gut, es ist in den Gefilden nicht kalt, von daher also kein Problem. Das Ruderblatt hat obenauf eine relativ grosse Fläche, auch gut. Aber wie leicht kann man dort herunterfallen, im Schlaf oder bei Wellengang?! OK, wenn die Möglichkeit besteht, in den darüber befindlichen Rudermaschinenraum zu klettern, mag das ja alles angehen, aber es bleibt risikoreich. Wer weiss schon, wieviele Flüchtlinge so eine abenteuerliche Reise nicht überlebt haben.

  4. Danke für Deinen Beitrag. Genau, wir können es einfach nicht ermessen, in welcher Lage sich diese Menschen befinden. Umso überheblicher und arroganter dann aus einer gesicherten Position heraus über sie urteilen zu wollen.

  5. „Was für mich wieder einmal die Frage aufwirft, wie verzweifelt die Menschen wohl sind, die solche Wagnisse auf sich nehmen? “
    Nichts anderes könnte ich dazu sagen. – Danke, dass du das hier geschrieben hast und mit dem Video untermauert hast – aber auch ich wäre wie Birte nicht von einem Fake ausgegangen, obwohl wir Europäer nicht im entferntesten ahnen können, wie dreckig es den Menschen dort geht.
    Als Leute aus der DDR geflüchtet sind und auch ihren Tod an der Mauer einkalkulieren mussten, waren es aber dennoch ganz andere Beweggründe, die sie dieses Risiko haben aufnehmen lassen.
    Wahrscheinlich geht es einem Teil der Menschen nur deswegen so gut, weil es einem anderen so schlecht geht.
    Liebe Grüße an dich

    1. Danke fürs Danke sagen, Clara.
      Mir war das einfach wichtig, neben dem Schicksal dieser bedauernswerten Menschen auch noch mal zu benennen, welche Reaktion darauf inzwischen immer häufiger erfolgt und immer häufiger unwidersprochen bleibt – je nachdem wo das Thema auftaucht.
      Und leider gibt es auch immer mehr grosse Zeitungen, die derartige Kommentare nicht moderieren oder ihnen etwas entgegensetzen, sondern für alle Ewigkeiten online lassen.
      Dabei war es mit ein wenig Suchen gar nicht so schwer, auch Beweise für die Echtheit des Bildes zu finden….

  6. Bestürzend und so bezeichnend, dass manchen Leuten dann das Wort „Fake“ sofort in den Kopf kommt, aber das Wort „Mitleid“ oder „Hilfe“ eben nicht.

    1. Ja, Du hast Recht.
      Der Gedanke ging mir dazu auch durch den Kopf, samt dem unschönen Gefühl, dass auch ich zuerst in diese Richtung gedacht habe, bis ich darauf gekommen bin, mal genauer hinzugucken.

      1. Absolut richtig, bei Bildern muss man schon aufpassen, da ist viel Unfug im Umlauf. Aber selbst wenn dieses Bild Fake gewesen oder nur zur Hälfte war wäre, ist doch die ganze Flüchtlingssituation trotzdem da. Und selbst die Hälfte davon ist doch schon schlimm genug

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