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„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Das Sonntagszitat 37/21

Vorbemerkung:

Ich habe lange darüber nachgedacht, ob – und wenn ja was – ich zum 11. September 2001 schreibe, dem Tag, als die Attentate auf das World-Trade-Center zum traumatischen Erlebnis nicht nur für die unmittelbaren Opfer wurden, sondern auch für viele, die das Geschehen dieses Tages in der Folge wieder und wieder im Fernsehen angesehen haben, unfähig, wirklich zu begreifen, was da passiert war.

Auch mich triggern die Bilder dieses Tages noch heute, zumal sie damals für mich auch noch zeitlich sehr eng mit einem anderen, sehr persönlichen Trauma zusammen fielen, an dem ich in der Folge fast zehn Jahre lang herumlaboriert habe.
Insofern hätte es gute Gründe gegeben, nicht weiter darauf einzugehen.

Dennoch habe ich mich entschieden, jetzt doch darüber zu schreiben, nachdem ich auf den Artikel aufmerksam wurde, aus dem mein heutiges Zitat stamm – einen Artikel der Berliner Zeitung, der die bis heute nacwirkenden Auswirkungen des bewussten Tages direkt am Ground Zero, also am Ort des Geschehens beschreibt, so wie sie sich heute, zwanzig Jahre später darstellen – in einer Intensität, die für mich gerade noch an der Grenze des erträglichen ist.

Deshalb erlaubt mir vorab die Bemerkung, dass jeder bitte für sich selbst überlegen möge, ob er dem Link wirklich folgen mag, der auf den Ursprung meines heutigen Zitates hinweist:

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…. Es ist eine Pilgerfahrt an eine Reliquienstätte. Die Religion, der hier gehuldigt wird, ist die amerikanische. Es ist die simplifizierende Legende, die sich seit 9/11 verfestigt hat und die besagt, das Land sei von Kräften des Bösen angegriffen worden und müsse nun unter dem blau-weiß-roten Sternenbanner zusammenrücken….

Berliner Zeitung

Ein Zitat, dass vom Inhalt her ein – für mein Gefühl – sehr bedenkliches Stimmungsbild vom Ground Zero als Kristallisationspunkt eines auch nach zwanzig Jahren noch virulenten, aus traumatischer Trauer entstandenen Rachegedankens zeichnet – als Blick in eine Welt, deren Inhalte und Motivationen mir persönlich völlig fremd und unverständlich sind (und auch nicht viel verständlicher werden, wenn ich es im Gesamtzusammenhang des kompletten Artikels lese):

In dem Artikel geht es (neben der Beschreibung des Schauplatzes in heutigen Zeiten) einmal mehr auch um den Gedanken der Vergeltung, die (auch das ein Ausdruck des „American Way of Live“?) zur Triebfeder für viele negative Veränderungen und massiver Gewalt wurde, welche die Welt seither über sich ergehen lassen musste – zwanzig Jahre Krieg in Afghanistan und unzählige Tote inklusive….

Wobei ich mir relativ sicher bin, dass hinter dem beschriebenen, düsteren Szenaro vermutlich nur noch eine Minderheit der US-Bürger steht – jedenfalls nach dieser langen Zeit – auch wenn das Trauma von 9/11 sicher in vielen Amerikanern noch viel tiefer steckt, als das bei uns der Fall ist, die wir nicht so unmittelbar davon betroffen waren.

Wir wissen doch alle, das Rache und Gewalt nicht anders bewirken als weitere Rache und weitere Gewalt – eine Erkenntnis, die sich inzwischen auch ( nach zwanzig Jahren Krieg) bei vielen US-Bürgern durchgesetzt haben dürfte. – denn so grossartig unterscheiden sich unsere kulturellen Wurzeln und humanistischen Grundsätze doch eigentlich nicht.

Oder etwa doch?

Und wenn doch, kann es dann sein, dass die insbesondere am Ground Zero betriebene Art der Glorifizierung, dieses „Erheben zur Religion“ und der daraus resultierende, beinahe toxische amerikanische Nationalstolz am Unterschied der Sichtweisen und Reaktionen einen nicht zu unterschätzenden Anteil und wie eine Gehirnwäsche auch auf die Mehrheit gewirkt hat, die eigentlich lieber einen friedlicheren Weg gesucht hätten, als Rache zu üben und einen Krieg mit (un-)absehbaren Folgen vom Zaun zu brechen?

(Was im Übrigen eine Frage ist, die mich auch in anderen Zusammenhängen immer wieder mal bewegt, in denen rationelles Verhalten durch emotionsgeladene Propaganda in eine völlig unlogische und jede Vernunft ausblendende Richtung umgelenkt wird – insbesondere, wenn dabei auch noch religiöse oder nationalistische Motive ins Spiel kommen….
Wie beispielsweise auch zum Beginn beider Weltkriege hier in Deutschland -als die Kriegserklärungen ebenfalls auf grosse Zustimmung in der Bevölkerung trafen)

Anders kann ich es mir zumindest nicht erklären, dass zwanzig-jähriges Morden in Afghanistan in weiten Teilen der US-Bevölkerung auf so wenig Widerstand getroffen ist – jedenfalls nicht, solange die Zahl der eigenen Toten dabei nicht unerträglich hoch wurde….

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So gesehen ist mein Blick auf „Nine-Eleven“ als „Wendepunkt amerikanischer Geschichte“ also ein durchaus kritischer – zumindest im Hinblick auf das, was durch diesen Tag ausgelöst wurde.

Aber das gilt natürlich nicht für die Opfer, die dieser Tag und die Jahre danach auf beiden Seiten gefordert haben. Denen gilt mein Mitgefühl ohne Unterschied, welchem Lager sie zugehörig oder welcher Religion sie angehörig waren – weil jeder Tote dieses unseligen Konfliktes auch ein Toter zuviel war.

Fraglich allerdings, ob auch nur einer der Toten des World-Trade-Centers wirklich gewollt hätte, dass sich daraus das entwickelt, was amerikanischer Patriotismus daraus gemacht hat……

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Schwere Kost am Sonntag Morgen … ich weiss….
Aber es war mir einfach ein Bedürfnis, meine Gedanken dazu mal aufzuschreiben, nachdem das Zitat mir einen gute Vorlage geboten hat.


Um so mehr ein Grund, Euch allen einen ruhigen, friedlichen und entspannten Tag zu wünschen.
Deshalb: Bleibt gesund und behütet!
Wir lesen uns :bye:


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