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„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Das Sonntagszitat 02/22

Mein heutiges Zitat schliesst ein Stück weit an das der letzten Woche an.
Geht es doch nochmal um das Thema „Heimat“, welches einige von Euch ja mit Orten aus der eigenen Vergangenheit verbinden, während ich eher dazu neige, „Heimat“ nicht mehr dort zu suchen – aus genau den Gründen, die im heutigen Zitat beschrieben sind:

„Ihr spart für eine Masuren-Reise? Dann muß ich dir wohl sagen, daß du nicht damit rechnen darfst, wiederzufinden, was du von mir erfahren hast über dieses Land.
Fremde, mehr oder weniger vertraute Fremde werdet ihr erleben!
….
Deswegen bin ich wohl noch nicht wieder hingefahren:
ich wollte mich nicht täuschen oder unsicher machen lassen, ich wollte mich vorläufig nicht dem Zwang aussetzen, Bilder korrigieren zu müssen, die ich mitgebracht habe als unsichtbares Gepäck.

(aus „Heimatmuseum: Roman“ von Siegfried Lenz)

Das habe ich tatsächlich so erlebt, als ich vor siebzehn Jahren vorübergehend noch mal im Dorf meiner Kindheit gelebt habe – in Ostwestfalen in der Nähe von B., wo ich über vierzig jahre zuhause war. Anfangs in bewusstem Dorf, später als Erwachsener keine fünfzehn Kilometer entfernt in der Stadt selbst.
Damals hatte ich gehofft, vieleicht nochmal an mein altes Leben anknüpfen zu können, nachdem ich vorher ein paar Jahre in Lübeck gelebt hatte.

Doch dieser Wunschtraum hat sich nicht erfüllt, denn dort im Dorf hatte sich in der Zwischenzeit soviel verändert, dass ich kaum etwas von dem wieder gefunden habe, was ich dort suchte:
Häuser, Gärten, Felder und Wälder waren verschunden und auch ein grosser Teich samt dem ihn speisenden Bach, selbst den Bauernhof gab es nicht mehr, auf dem ich als Kind so viele Abenteuer erlebt hatte.
Stattdessen neue Häuser, Fabriken und eine eingezäunte neue Gartenanlage, dort wo früher der Teich gewesen war. Und neue Strassen und Kreuzungen, wo früher keine waren, samt Ampeln, Zebrastreifen und Abbiegespuren…
Ein wenig war vom alten Dorf zwar noch vorhanden, allerdings viel kleiner und enger zusammengerückt, als ich das in Erinnerung hatte – und teilweise förmlich überragt von dem, was neu entstanden war.

Natürlich hatte ich mit einigen Veränderungen gerechnet, zumal ich inzwischen über fünfundzwanzig Jahre aus dem Dorf fortgezogen war (und viele davon gab es ja auch schon als ich noch in B. gelebt hatte und nur gelegentlich mal kurz in meinem Dorf gewesen bin), aber dass das so graviernd sein würde, das hatte ich nicht erwartet… auch nicht, dort buchstäblich keinen der Menschen mehr zu anzutreffen, die ich von früher kannte – nicht mal mehr die Familien alter Schulfreunde oder Nachbarn, die „immer schon“ dort gelebt hatten.

Und das war wirklich das Schlimmste daran – so dass ich richtig froh war, als ich ein paar Monate später in eine andere Wohnung „mehr in der Stadt“ und schlussendlich (wieder ein paar Monate später) nach Hamburg umziehen konnte.

Denn genau in dieser Zeit sind auch meine Liebste und ich uns zum ersten Mal begegnet – aber das ist wieder eine andere Geschichte…

Bleibt noch zu erwähnen, dass diese Episode meines Lebens noch heute nachwirkt:

Zum einen mit der Erkenntnis, das es „Heimat“ – wenn überhaupt – nur in der eigenen Erinnerung und in den eigenen Gefühlen gibt, genau wie es Lenz im Weiteren beschreibt –

Aber auch sie, die gesammelten Bilder, sind nicht zu unserer beliebigen Verfügung, sie haben ihre Zeiten, sie empfangen plötzlich Helligkeit und dunkeln wieder ein, sie steigen aus einer Tiefe heraus, sind für einen Augenblick sichtbar und versinken wieder – geradeso wie diese dünenden unberechenbaren Planktonfelder im Sargasso-Meer, die du einmal erwähnt hast.“

– „Heimat“ also kein Ort ist, zu dem man im realen Leben zurückkehren kann, weil es das nicht mehr gibt, was man dort sucht.

Und zum anderen, dass man vieles zerstören kann, wenn man versucht, dorthin zurück zu gehen, wo man „Heimat“ zu finden hofft.
Denn genauso ist es mir gegangen, als ich das versucht habe:
Viele Bilder und Erinnerungen meiner Kindheit vermischen sich seither mit dem, was ich in kurzen Zeit meiner Rückkehr dort erlebt habe…. mit ein Grund, warum mich dort so gar nichts mehr hin zieht und weshalb ich seither auch nur noch einmal dort gewesen bin – zur Beerdigung meines Vaters vor inzwischen zwölf Jahren…


Aber wie auch immer:
Habt alle einen wunderbaren Sonntag und bleibt wie immer gesund und behütet!
Wir lesen uns :bye:

( der auf dieses Thema sicher nochmal zurück kommen wird)


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- 8 Bemerkungen zu “Das Sonntagszitat 02/22

  1. Auch das Kind, das damals dort gelebt hat, gibt es nicht mehr, denn man hat sich auch selbst verändert, ist erwachsen geworden mit anderen Ideen, Wünschen, Hoffnungen.
    Vielleicht kann man „Heimat“ eben nicht an einem Ort und den dortigen Gegenständen und Menschen festmachen. Für mich ist Heimat ein Gefühl der Verbundenheit, das ich empfinden kann oder nicht. Vielleicht so ein bisschen wie in der Metapher „sich heimisch fühlen“ – was auch immer das dann wieder konkret heißen mag.

    1. Sich heimisch fühlen – mit der Definition kann ich mich gut anfreunden.
      Denn damit wird auch der Ort klarer beschrieben – ider in meinem Fall ganz eindeutig da liegt, wo ich jetzt bin….

  2. Vielleicht ist mit Heimat die Heimat der Kindheit gemeint? Zumal, wenn es eine Kindheit war, die ich mal einfach als „normal“ bezeichnen möchte. Als Kind und Jugendliche dachte ich oft, wie blöd doch vieles ist, im Elternhaus, der Schule u.s.w. Ich bemitleidete mich recht oft. Heute weiß ich, dass es zwar bedeutend bessere Kindheiten gibt, würde meine aber als durchschnittlich, eben normal sehen. Als meine Kinder in die Grundschule kamen, sie besuchten die Evangelische Schule in Neukölln, hüpfte mein Herz jedesmal, wenn ich meinen ersten Sohn in den ersten Tagen dort abholte. Die Schule befand sich nur wenige Schritte entfernt des Hauses, in dem meine Großeltern lebten, als ich Kind war. Ein Altbau mit Ofenheizung. Kein Warmwasser aus der Wand, der Badezimmerofen wurde immer morgens als erstes angeheizt. Natürlich bin ich irgendwann die paar Schritte weitergegangen. Es hatte sich auch nicht viel verändert. Und doch war alles anders! Weil ich kein Kind mehr war. Was ich sah, war einfach ein Haus. Keine Oma unterhielt sich quer über die Straße mit der Freundin des gegenüberliegenden Hauses. Kein einziger Name am Klingelbrett war bekannt. Die Tür war verschlossen, so konnte ich auch nicht auf den Hof. Dem Hof, auf dem regelmäßig ein Leierkastenmann spielte, dem ich einen in Zeitungspapier eingewickelten Groschen runterwerfen durfte. Vielleicht ist das Heimat? Diese Erinnerungen an Zeiten unserer Kindheit, die ein warmes Gefühl in uns entfachen?
    Liebe Grüße,
    Elvira

    1. Die Orte der Kindheit spielen bei der Definition von Heimat ganz sicher eine Rolle – zusammen mit den Menschen, die dort gelebt haben.
      Aber das Gleiche gilt wohl auch für andere Lebensphasen, da gebe ich Dir recht.

      Ergo ist „Heimat“ also nicht statisch oder fest an einen Ort gebunden, sondern kamm im Lauf eines Lebens an ganz unterschiedlichen Orten sein, an denen man sich heimisch fühlt ( wei oben von Belana geschrieben)
      Oder anders formuliert:
      Heimat ist immer da, wohin man über Ort und Zeit hinweg gerne zurück kehren wurde….

  3. In meinem Geburtsort, vor allem in der Straße, in der ich groß geworden bin, hat sich mittlerweile unglaublich viel verändert. Und beinahe alle Nachbarn, die meine Kindheit mit bestimmt haben, liegen inzwischen auf dem Friedhof. Ein Haus nach dem anderen ist verwaist, verkauft, umgebaut oder abgerissen – vieles hat sich verändert.
    Aber die Erinnerungen an damals bleiben – vielleicht kann man damit den Heimatgedanken verbinden und nicht mit dem heutigen Ort, der doch so fremd scheint.

  4. Heimat, ist doch eigentlich der Ort, an dem Du lebst und Dich wohlfühlst. Alle anderen Orte sind nur Teile Deines Lebenspuzzles.

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