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„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Sonntagszitat 40/21

Dieses Mal musste ich etwas länger suchen, bevor ich das Interview aus 1999 wiedergefunden habe, aus dem mein heutiges Sonntagszitat stammt.
Es beschäftigt sich mit dem, was heute landauf, landab „gefeiert“ wird, obwohl es aus meiner Sicht einunddreissig Jahre nach dem denkwürdigen 3. Oktober 1990 eigentlich nur noch wenig Grund zum Feiern gibt.
Denn inzwischen ist es Alltag, dass aus der DDR und der „alten Bundesrepublik“ ein Land geworden ist, in dem wahrlich nicht nur „eitel Sonnenschein“ oder gar „Einigkeit“ herrscht, obschon Helmut Kohls Weissagung von den „Blühenden Landschaften“ inzwischen weitgehend eingetroffen ist.

Aber auch das ist eine Tatsache: Die Sozialisation in Ost oder West war unterschiedlich und sie ist es in Teilen auch heute noch – bei denen, die in der DDR aufgewachsen sind und in der Generation der Kinder der Wiedervereinigung.

….Aber ich glaube mittlerweile, dass Nostalgie ein normales menschliches Empfinden ist. In der Erinnerung wird jede Vergangenheit schön und warm und heimelig – Opa fand ja auch den Ersten Weltkrieg prima. Erinnern ist immer Verklären, es geht mit dem Vergessen Hand in Hand. Die Erinnerung an die DDR ist umkämpftes Gebiet. Wenn sich Ostler gerne an früher erinnern, dann dürfen sie das, aber sie müssen wissen: Das macht die DDR nicht besser. Es liegt nicht an der DDR, sondern in der Natur des Erinnerns, dass die DDR plötzlich so viele gute Seiten hat…..

Thomas Brussig in einem Interview der Berliner Zeitung (6/7. November 1999)

Insofern glaube ich, dass es noch einige Zeit dauern wird, bis sich „wirkliche Einheit“ einstellen wird – vermutlich erst, wenn auch es auch in den letzten Köpfen angekommen ist, dass die Welt sich inzwischen weiter gedreht hat und es besser ist, den Blick in die Zukunft zu richten, statt Vergangenes nostalgisch zu überhöhen.
Das gilt für ostalgische Gedanken genauso, wie der es Jahrzehnte zuvor für die rückwärts gerichteten Ideen der sogenannten „Heimatvertriebenen“ und ihrer Kinder galt, die lange Zeit auch nicht akzeptieren wollten, dass es kein Zurück geben würde, ohne damit ein friedliches Zusammenleben in Europa zu gefährden…..

Aber das ist inzwischen Geschichte und spielt (ausser in den Köpfen weniger „Ewig-Gestriger“) im deutschen Alltag keine Rolle mehr – und genauso wird es auch mit der mit dem „Drama der Wiedervereinigung“ irgendwann sein…..
Je eher, je schneller man aufhört, darum noch „grosses Gedöns“ zu machen, das jedes Jahr aufs neue Anlass für grosses Redenschwingen ist…..zumal es – angesichts dessen, was nach dem 3. Oktober 1990 „schief gelaufen“ ist – ja auch nur sehr eingeschränkt Grund zum Feiern gibt….


In diesem Sinne:
Habt noch einen schönen Restsonntag und bleibt gesund und behütet.
Wir lesen uns :bye:


-399-

- 5 Bemerkungen zu “Sonntagszitat 40/21

  1. Nach Feiern war mir an diesem Tag noch nie zumute. Vieles ist schief gelaufen, viele wurden nicht mitgenommen. Es musste ja auch alles hopplahopp gehen. Ich habe letzte Nacht noch einen Film über die Treuhand gesehen. Das war schon zum Teil richtig übel, was da abgelaufen ist, wenn auch sicherlich viele Schließungen kaum vermeidbar waren. Sicherlich bestand die DDR nicht nur aus Stasi, Mauertoten und massiver Umweltzerstörung, trotzdem habe ich oft das Gefühl, dass das in der Ostalgie oft keinen Platz hat. Natürlich habe ich den Blick eines Wessis, der allerdings kurz nach der Wende in Greifswald gelebt und gearbeitet hat und vor 6 Jahren noch mal ein gutes Jahr in Leipzig.
    Man sollte manches nicht vergessen, wie ja eigentlich immer, aber der Blick sollte in der Tat nach vorne gerichtet sein, denn zurückdrehen wird sich die „Wende“ ganz sicherlich nicht und so geht es darum, diese Gesellschaft im Hier und Jetzt zu gestalten. Bestenfalls gemeinsam.

    1. Ja, es geht wohl nur gemeinsam., wenn „zusammen wachsen soll, was zusammen gehört“

      Wobei ich mir manchmal doch auch die Frage stelle, ob es (damals) wirklich zusammen gehört (hat), oder ob es nicht besser gewesen wäre, den Bestand zweier deutscher Staaten solange aufrecht zu erhalten, bis beide Teile sich weiter aneinander angeglichen gehabt hätten.
      Denn im Grunde lief der Prozess der Wiedervereinigung vor einundreissig Jahren ja viel zu schnell ab, um in Ruhe planen und sich die Dinge entwickeln zu lassen….

      1. Genau das haben ja nicht wenige gewollt. Es ging alles viel zu schnell und vor allem, es ging alles nur nach westdeutschen „Maßstäben“. Die Menschen hatten sich von jetzt auf gleich auf ein völlig anderes System einzustellen, was mal galt, war nicht mehr gültig, sowohl gesellschaftlich als auch beruflich. Wie viele standen plötzlich quasi ohne Berufsabschluss da, weil die nicht mehr anerkannt wurden, um nur ein Beispiel zu nennen.
        Nichts desto Trotz sollte man nicht immer nur zurückblicken, sondern lieber gemeinsam nach vorne. Aber wir alle neigen wohl dazu, alles besser zu finden, was früher mal war. War es sicherlich nicht, weder hier noch dort. Die, die durch die Maschen fallen, sind ja nicht nur Menschen aus den „neuen Bundesländern“ und auch Strukturwandel gibt es hier wie dort. Ich glaube, wir müssten Gesellschaft insgesamt neu und anders gestalten und da sind wir alle gefragt, egal, wo wir herkommen.

  2. Danke, Frau Momo, für deinen Kommentar.
    Gestern war ich ein wenig in der Innenstadt unterwegs – einfach mal zu sehen, was so um das Brandenburger Tor herum los ist. Auf einer kleinen Bühne waren Leute am Mikrofon, deren Inhalte ich nicht nachvollziehen konnte.
    Die Linden weiter Richtung Alexanderplatz gelaufen – da fand ich unheimlich viele Tafeln mit Texten und Fotos, die was mit der DDR und der Vereinigung zu tun hatten. Ich blieb interessiert stehen und nahm der Gruppe gegen eine Spende auch ihre Broschüre ab. Sie heißt „Unentdecktes Land – die Ausstellung“
    Die Webseite dahinter ist http://www.unentdecktes-land.org
    Da ging es u.a. um die Treuhand und die vielen Schließungen von Firmen, aber auch um solche Firmen, die noch heute gut und anerkannt produzieren.
    In die Broschüre habe ich noch nicht richtig reingelesen – ich gehöre ja auch zu der Generation, die im Jahr 2000 nach einer längeren Anstellung in einer renommierten westlichen Firma mit 55 Jahren null Chancen auf dem Arbeitsmarkt hatte, weil mein Fachschulstudium technisch gesehen mehr als hinterwäldlerisch war und die drei Anstellungen, die ich bis 2004 noch hatte, nur auf die erhöhten Zahlungen vom Arbeitsamt aus waren. – Natürlich hat es die Generation nach mir – meine Kinder oder gar meine Enkel – entschieden leichter in dieser Beziehung, denn sie kannten es kaum anders.
    Lieben Gruß an Wilhelm – wenn Vodafone Laut gibt oder gar gleich ein neues Modem schickt, melde ich mich.
    Und an dich natürlich auch liebe Grüße!

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