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„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Das Sonntagszitat 50/21

Mal wieder Sonntag, also mal wieder Zeit für eine neues Zitat. Zur Abwechslung mal wieder aus einem Buch, das ich gerade lese – nachdem es in den letzten Wochen ja Fundstücke aus anderen Quellen gab, weil meine jeweiligen Bücher nicht so recht was passendes hergeben mochten:

„Wo wir einen Anfang setzen, da ist längst etwas eingefädelt, da sind schon Weichen gestellt, Bedingungen geknüpft, Voraussetzungen geschaffen; wir treten nur auf, um etwas zu erfüllen oder zu vollstrecken oder um in etwas hineinzuwachsen, was ein kombinierender Zufall längst für uns ausgesucht hat“

(aus „Heimatmuseum: Roman“ von Siegfried Lenz

Auf den ersten Blick sicher eine Binsenweisheit, die mir zumindest ziemlich plausibel erscheint – aber beim weiteren Nachdenken darüber dann doch die Frage aufwirft, ob das denn wirklich so ist, dass wir in vielen Situationen quasi keinen Einfluss darauf haben, wie sich die Dinge entwickeln, weil eine bestimmte Richtung ja immer schon durch äussere Bedingungen vorgegeben ist?

Wie etwa durch die familiäre und finanzielle Situation, in die wir geboren wurden – oder durch gesetzliche Vorgaben, gesellschaftliche Konventionen, wirtschaftliche Zwänge und andere Lebensumstände, mit denen wir konfrontiert sind. Grenzen also, an denen zu rütteln – oder gar: sie zu überschreiten – ziemlich schwer und teilweise auch unmöglich ist.

Freiheit (im Sinne von: sich frei entscheiden und eine Richtung für sein Leben wählen zu können) wäre demzufolge nur möglich, wenn man sich dabei innerhalb dieser Bedingungen bewegt – also die Möglichkeiten nutzt (nutzen kann?), die sich daraus ergeben?

Aber kann das denn sein?
Wenn das wirklich so wäre , dann könnte ja auch keine Entwicklung stattfinden und wir alle würden vermutlich immer noch leben wie zu Kaisers Zeiten, gefangen von Konventionen, die ein Denken über Grenzen hinaus unmöglich machen…. weil die „Umstände“ nichts anders zulassen?

Insofern glaube ich zumindest, dass dieses Zitat in Teilen ziemlich daneben liegt.
Jedenfalls, soweit die „Bedingungen“ nicht aus dem Bereich der unverrückbaren Naturgesetze stammen. Alle anderen Bedingungen sind ja mehr oder weniger dynamisch und stellen keine unüberwindbaren Hürden mehr dar, wenn man nach unkonventionellen Lösungen sucht oder zumindest die Chancen zu greifen bereit ist, die sich abseits des „Üblichen“ bieten – wenn man das möchte und zielstrebig darauf hinarbeitet….

Aber sagt, wie seht ihr das?


Bleibt alle gesund und behütet an diesem dritten Adventssonntag.
Wir lesen uns :bye:

Habt alle einen schönen und entspannten Tag


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- 6 Bemerkungen zu “Das Sonntagszitat 50/21

  1. Die letzte Zeile des Zitats würde ich auch nicht so ganz unterschreiben wollen. Aber ansonsten tragen wir immer uns selbst mit uns herum und agieren in den Grenzen, die wir uns selbst setzen bzw. die wir uns selbst verinnerlicht haben. Selbst wenn jemand beschließt, ab sofort ohne jeden menschlichen Kontakt in der Wildnis zu überleben, nimmt er doch seine Prägungen, all das, was er weiß und gelernt hat, all seine Erinnerungen mit. Und in diesem Sinne würde ich dem ersten Teil des Zitats zustimmen.

    1. Das ist sicher richtig.
      Ungefähr in die Richtung ging mein Gedankengang auch – zumal es ja genau diese Dinge sind, die wir als Vorgaben bei unserer Geburt und während unserer Kindheit mitgegeben bekommen.
      Aber was wir draus machen, das liegt dann doch zum grossen Teil bei uns selbst.

  2. Wenn Weichen gestellt sind, muss man sie halt umstellen… – das hört sich leichter an, als man es ausführen kann. Aber ich spreche da aus eigener Erfahrung.

    Da ich aus dem ländlichen Raum stamme und aus dem vorigen Jahrhundert ;o) – waren meine Weichen durch die Tatsache, dass ich ein Mädchen war, gestellt. Volksschule, Lehre, Heirat, Kinder – so sah das damals aus. Dank einiger Hilfe von außen wurden meine Weichen verstellt – und so konnte ich weiterführende Schulen sowie Studium genießen und mir meinen Beruf auch selbst aussuchen. Die erste Wahl hat nicht gepasst, deshalb wurde die Weiche nochmals umgestellt. Es gehört aber schon auch Glück, Hilfe und Durchsetzungskraft dazu, dass es anders läuft, als ursprünglich geplant oder vorgegeben.

    1. Ich würde „Plan“ und „Vorgabe“ da durchaus unterscheiden:
      Die Vorgaben sind das, was Du qua Geburt und Lebensumständen Deiner Familie als Basis mit bekommst, auf der Du Deine eigenen Pläne entwickeln kannst. Und dabei ist sicher auch entscheidend wie stark die Leitplanken aus den Vorgaben Dich einengen.
      Sind sie sehr hoch, wird vieles in eine vorgezeichnete Richtung gehen, sind sie niedrig, ist es einfacher, sich davon zu befreien. Und manchmal braucht es halt auch jemanden, der beim drüber steigen hilft….

  3. Mein Mann meint ja, dass wir alle Marionetten sind und ein Puppenspieler uns an Fäden durch unser Leben führt. Ich denke das meistens nicht, denn viele meiner Entscheidungen habe ich ganz bewusst getroffen. Glaube ich jedenfalls. Was aber, wenn diese Entscheidungen in dem Manuskript jenes Puppenspielers bereits vorgeschrieben waren, ich nur denke, dass ich sie getroffen habe?
    Ich habe in den letzen beiden Jahren ja viel gepuzzelt. Mein erstes Puzzle war nach einem Gemälde von Veronese, Die Hochzeit zu Kana. In der Mitte sitzt Jesus an der Hochzeitstafel. Nach diesem Vorbild hat Renato Casaro: „So vergeht der Ruhm der Welt“ ein Bild gemalt. Die Protagonisten darauf sind berühmte Künstler, Denker, Politiker, Wissenschaftler. Die meisten sind schon lange tot. In der Mitte dieses Bildes sitzt statt Jesus der Clown in der Mitte, zwischen seinen weiß behandschuhten Händen schwebt unser Planet. Der Clown lacht über das ganze Gesicht. Es ist ein durchaus fröhliches Lachen, kein hämisches oder schadenfrohes. Ich habe sehr lange über diese Symbolik nachgedacht. Was, wenn wir wirklich nur Darsteller einer göttlichen Tragikomödie sind? Denn ist es nicht diese Frage, die uns Menschen umtreibt, die Frage nach dem Sinn dieses manchmal so merkwürdigen Lebens? Wer stellt die Weichen?
    Du hast ein zum Nachdenken anregendes Zitat gewählt, lieber Wilhelm. Aber das ist ja auch die Absicht, nicht wahr?
    Hier kannst du das Bild mit dem Clown sehen: https://quilttraum.wordpress.com/2020/07/19/gibt-es-dafuer-eine-gruppe/

    Liebe Grüße und einen schönen Ausklang des dritten Advents,
    Elvira

    1. Das Bild vom göttlichen Puppenspieler gefällt mir gut – obschon ich als Christ durchaus glaube, dass es nicht so ist. Denn wozu bräuchte es die zehn Gebote, wenn wir Menschen nicht frei wären, selbst entschieden könnten, uns daran zu halten oder nicht?

      Und auch die Vorstellung Deines Mannes gefällt mir – zumal an der Geschichte mit den unsichtbaren Fäden durchaus was dran ist. Allerdings zerrt da niemand von aussen dran herum, sondern sie liegen in uns selbst und heissen „Gewissen“, „Moral“, „Ehre“, Disziplin“, „Treue“ usw. – oder auch „Habgier“, „Neid“, „Rache“, „Rücksichtslosigkeit“, „Egoismus“, „Sucht“ usw. – wobei sich die Listen sicher beliebig fortsetzen liessen….

      Der Casaro ist übrigens Klasse.
      Ich hab das Bild mal gegooglet, und auch eine grössere Auflösung im Netz gefunden, auf der man mehr Details erkennen kann:

      Sic transit Gloria mundi

      Merkwürdig daran allerdings, dass die dargestellten Herrschaften so gar keinen Bezug aufeinander nehmen….


      (beim Klick aufs Bild lässt sich der Ausschnitt vergrössern)

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