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„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Ein schönes Land?

Guten Tag Euch allen!

Es ist schon ziemlich lange her, dass ich dieses Lied zum ersten Mal gehört habe:

Zupfgeigenhansel – Ein schönes Land

Entweder schon Mitte der 70er Jahre, als Zupfgeigenhansel mehrfach in Bielefeld im ebenso legendären wie damals stets stark verrauchten „Bunker“ aufgetreten ist – oder irgendwann in den 80ern, wo sie gelegentlich noch bei Open-Air-Konzerten uns -Festivals der Friedensbewegung oder der Anti-AKW-Bewegung im näheren und weiteren Umfeld der Stadt am Teutoburger Wald auftauchten, nicht mehr als Top-Act, sondern als eine von vielen ähnlichen Gruppen, die dort immer wieder zu Gast waren, Ougenweide etwa, Liederjan oder den Bots, die damals gerade ihren grossen Höhenflug erlebten….

Mit Musik und teils sehr politisch angehauchten Texten, mit denen man wohl heute niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlocken würde, ausser vielleicht so alten, nostalgisch angehauchten und links-grün versifften Öko-Spinnern wie mich.

Zupfgeigenhansel Mitte der 80er: Thomas Fritz & Erich Schmeckenbecker

Und so hat es mich auch merkwürdig seltsam berührt, als ausgerechnet dieser Titel vor ein paar Tagen in einer der Zufallsplaylists aufgetaucht ist, die meist statt des nervigen Radioprogrammes den Soundtrack meiner Tage darstellen .

Weil da keiner dazwischenquatscht und ich ständig nicht mit „aktuellen“ Nachrichten und Meldungen traktiert werden möchte, die ich schon Morgens bei meiner Zeitungslektüre gelesen habe oder die ohnehin abends noch mal im Lokalfernsehen oder der Tagesschau auftauchen.

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„Seltsam berührt“ schon deshalb, weil mir dieses Lied gleich aus mehreren Gründen seinerzeit schon sehr nahe gegangen ist mit seiner mir aus ganz anderen Zusammenhängen bekannten Melodie und der von Dieter Süverkrüpp 1963 geschriebenen Adaption des alten Textes von „Kein schöner Land“, die nun keine abendliche Idylle mehr beschrieb, sondern eine Antwort auf die moderne Welt Anfang der 60er Jahre zu geben versuchte.
Eine Welt mit allgegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Konflikten und auch den ersten deutlich sichtbaren Anzeichen der gigantischen Umweltverschmutzung aufgrund des grenzenlosen Industriewachstumes und des Raubbaus an Ressourcen und Intakter Natur, der damit zusammen hing.

Womit Süverkrüpp – zu seiner Zeit gelegentlich als grosser Spinner abgetan – zwar Anfang der 60er ziemlich ungehört blieb, einige Jahre später aber dennoch den Nerv der Zeit traf, als Zupfgeigenhansel das Lied als seinen Beitrag zur aufkeimenden Öko-Bewegung zum ersten Mal spielte… und zugegeben auch meinen Nerv.

Denn natürlich war das auch in den 70ern und 80ern noch hochaktuell, insbesondere nach dem Nato-Doppelbeschluss und angesichts von der inzwischen viel deutlicher sichtbaren Naturzerstörung mit verdreckten Flüssen und sterbenden Wäldern und der Gefahr, die von den zu der Zeit noch wie Pilze aus dem Boden spriessenden Atomkraftwerksbauten in unserem eigenen Land ausging…

Allerdings ist es (und war es) auch keines der lauten Kampflieder, die in diesem Zusammenhang häufig gab, sondern „nur“ auf stille Art mahnend, vor allem in seiner letzten Strophe:

Nun haltet hier auf Erden wacht
Daß sie nicht fällt in Todesnacht
Sie zu behüten in ihrer Güten, seid wohl bedacht
Sie zu behüten in ihrer Güten, seid wohl bedacht

Text (c) Dieter Süverkrüpp 1963; Quelle Lyrictranslate

Was zusammen mit der aus dem Volkslied übernommenen Melodie wohl auch dazu geführt hat, dass es schon damals gerne überhört wurde und wohl auch vielen als „nicht zeitgemäss“ galt.
Ich erinnere mich jedenfalls noch sehr gut, dass die Bots auf einem Friedensfestival zwischen wortgewaltigen Reden und vielfältigen Musikbeiträgen für ihr „Was sollen wir trinken“ wesentlich mehr Beifall (und sogar frenetischen Jubel) einheimsen konnten als Zupfgeigenhansel für dieses doch sehr leise klingende Lied, das im allgemeinen Palaver (bei Volksfeststimmung, Rotwein, Bier und Flammkuchen) solcher Veranstaltungen meist unterging.

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Aber egal, zumal der inzwischen schon sechzig Jahre alte Text ja auch heute noch passt, wenn man ihn mal über die Demonstrationen von „Fridays for Future“oder auch über die Aktionen der „letzten Generation“ legt – die auf ihre Art genau das selbe Anliegen benennen (und damit Süverkrüpp’s Auforderung weiter verfolgen, wie es schon in seinem Text geschrieben steht ). Wenn auch gelegentlich so, dass sie damit nicht unerheblich anecken.
Aber was bleibt ihnen denn übrig, wenn nichts anderes funktioniert?

Und trotzdem werden sie genauso überhört wie Süverkrüpp, Zupfgeigenhansel und die vielen anderen, die ähnliches gesungen oder geäussert (und dagegen mit deutlich sanfteren Methoden protestiert)haben.
Überhört, ja sogar gescholten von denen, die es angeht.
Also nicht nur von der Politik, sondern von uns allen, denen die Aufforderung ja ebenfalls gilt, „die Wacht zu halten und unsere Erde zu behüten“ . Denn wir (oder zumindest: viel zu viele von uns) leben auch heute (trotz des inzwischen deutlich fühlbaren Klimawandels) immer noch so unbeschwert, als ob es kein Morgen gäbe und sind nur in den wenigsten Fällen bereit, daraus endlich mal Konsequenzen zu ziehen. Die würden ja Einschränkungen und Unbequemlichkeiten bedeuten, die keiner von uns will, die wir aber gnaden- und rücksichtslos den Generationen unserer Kinder und Enkel zumuten…

Dabei ist es doch schon fünf nach zwölf und kaum noch was zu retten, wenn nicht bald entscheidendes passiert.
Und dann ist wohl endgültig Essig mit dem „schönen Land“ , wenn kaum noch was davon übrig bleibt…


Habt dennoch alle einen ruhigen Nachmittag und einen angenehmen Rest der Woche – und bleibt gesund und behütet!
Wir lesen uns :bye:

Euer Wilhelm,

gerade auf einer kleinen musikalischen Entdeckungsreise in die Vergangenheit…


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- 5 Bemerkungen zu “Ein schönes Land?

  1. Da werde ich direkt melancholisch… auch wenn ich ein paar Jahre jünger bin, all die von Dir erwähnten haben mich in meiner (politisch) bewegten Jugend begleitet. Genauso wie Hannes Wader, Joan Baez und viele andere. Liederjan habe ich mehrfach live gesehen, Zupfgeigenhansel leider nie.
    Ich für mich würde allerdings nicht sagen, dass ich weiter gelebt habe wie bisher. Ich habe schon damals in den ersten Bioläden eingekauft, eigentlich ungenießbaren Nicaragua Kaffee aus fairem Handel getrunken. Die Flugreisen in meinem Leben kann ich an einer Hand abzählen. Vieles konnte ich mir auch schlicht nicht leisten, das gebe ich zu.

    1. Weitergelebt wie vorher hab ich auch nicht, auch wenn vieles von dem damals noch nicht ging, was in den Jahren danach möglich wurde…
      Dennoch: Jute statt Plastik und Milch und Gemüse direkt vom Bauern waren immer drin – und auch noch einiges mehr (selbst Ökowindeln für meine ältesten Kinder), aber anderes eben auch nicht, weil es das noch nicht gab oder organisatorisch für uns nicht zu regeln war…

      Wobei ich meinen eigenen Schwerpunkt eigentlich immer wo anders gesehen habe:
      Im Widerstand gegen Atomkraft und gegen Aufrüstung und Militär….Aber da waren die Grenzen durchaus fleissend und man begegnete sowieso überall den gleichen Mitstreitern.

      Also auch damals schon: Leben in der Blase.
      Soviel hat sich seither anscheinen gar nicht geändert

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