– – tageweise unsortiertes – –
„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Gedanken zum 9. November

Guten Morgen an diesem Jahrestag!

Der neunte November, ein Tag, der in unserer deutschen Geschichte gleich in mehrfacher Hinsicht ein besonderer war:
Als Tag, an dem 1918 der Kaiser abdanken musste und die erste Republik auf deutschem Boden ausgerufen wurde – als Tag, an dem 1938 der Judenhass der Nazis eskalierte und in die Reichskristallnacht mündete, die verglichen mit dem, was später kam, kaum mehr als ein laues Lüftchen war – und als Tag, an dem 1989 die Mauer fiel und sich die Grenzen der DDR öffneten.
Alle drei Ereignisse prägend für die Welt, in der wir heute leben – und alle einen Erinnerung wert.

-_-_-_-

Und doch möchte ich jetzt nur ein Datum herausgreifen:
Den neunten November 1938 – oder ganz genau: die Nacht vom neunten auf den zehnten November dieses Jahres, in der hier in Deutschland Synagogen brannten, jüdische Geschäfte zerstört und geplündert wurden und unschuldige Menschen zu Tode kamen, weil den Machthabern deren Religion nicht gefiel und sie deshalb zu Freiwild wurden, zu Opfern eines Mobs, der ungestraft wüten durfte.
Und ungestraft wüten konnte, weil es kaum jemanden gab, der sich traute, sich dem in den Weg zu stellen. Nennenswerten Widerstand gab es damals jedenfalls nicht.
Zu gross die Indoktrination und das Klima der Angst, was schon lange vorher geschürt worden war und vielerorts zu schulterzuckender Ignoranz geführt hatte, wenn nicht gar zu wohlwollender Zustimmung zu den Schikanen, denen Juden in unserem Land mehr und mehr ausgeliefert waren.

Der Sündenbock war ja benannt und dem geschah nur recht, was nun passierte….
So dachten damals wohl viele, vor fünfundachtzig Jahren in unserm Land.

Strassenszene in Berlin am Morgen des 10.November 1938

-_-_-_-

Und heute?

Auch jetzt gerade – mit dem Beginn eines erneuten Krieg in Palästina – geraten wieder einmal die Juden ins Visier und werden überall auf der Welt zur Zielscheibe des Hasses.
Bei denen, die schon immer etwas gegen sie hatten – aber auch bei rechten Gruppierungen wie den Kackblauen oder bei links gerichteten, die nur die ungerecht behandelten Menschen in Gaza, aber nicht auch den Anteil palästinensischer Extremisten an der Ursache des Krieges sehen wollen – und natürlich ganz besonders bei den Sympathisanten aus dem islamischen Lager, denen allen dieser Krieg anscheinend ein willkommener Anlass ist, nun das laut hinauszuschreien, was vorher eher hinter vorgehaltener Hand propagiert wurde.
Letztendlich aber auch wieder mit dem gleichen Ziel, was auch 1938 schon Grundlage der Pogrome in unserem Land war – und damit den Konflikt herunterbrechend auf eine mitmenschliche Ebene, die mit israelischer Staatsräson oder dem Terror der Islamischen Fundamentalisten eigentlich nichts zu tun hat.
Womit nun fatalerweise die Juden in ihrer Gesamtheit zum Verursacher eines Krieges und damit Ziel des Hasses erklärt werden, obschon die Ursache dafür gar nicht bei Ihnen alleine liegt und selbst viele Menschen jüdischen Glaubens nicht von dem überzeugt sind, was der Staat Israel in Gaza und den übrigen Palästinesergebieten in ihrem Namen anrichtet.

Strassenszene in Berlin am Nachmittag des 4. November 2023

Es sind nämlich nicht „die Juden“ als homogene Gruppe, die nun in Gaza einmarschiert sind, sondern es ist eine – zumindest ihrem Grunde nach – verständliche Reaktion der Regierung des Staates Israel auf einen Terrorangriff, die allerdings nach meinem Gefühl in ihrer Art und Weise nur zu noch mehr Hass führen wird, weil wieder einmal Gewalt nur mit Gewalt beantwortet wird.
Und (auf der anderen Seite) sind es auch nicht „die Palästinenser“ oder „die Muslime“ in ihrer Gesamtheit, die für den Terroranschlag verantwortlich waren, sondern nur eine kleine Gruppe von Extremisten namens Hamas, gesteuert von islamischen Führern im Iran oder sonstwo, die offenbar ihren Koran nicht richtig gelesen haben und auch nicht anders ticken.
Weshalb derartige Verallgemeinerungen – „die Juden“ oder „die Palästinenser“ – nun auch nicht weiterhelfen – und schlimmstenfalls wieder genau dahin führen werden, wo wir hier in Deutschland vor 85 Jahren schon mal waren.

Und deshalb sollte uns allen – gerade hier in Deutschland und mit der Geschichte des Leidens jüdischer Menschen in unserem Land – der neunte November 1938 auch eine Lehre sein, um zu verhindern, dass sich Gleiches noch einmal wiederholen kann – im stillen Gedenken an die Menschen, die damals zu Opfern wurden und mit dem Wissen, dass es an uns liegt, zu verhindern, dass so etwas noch einmal passiert.

Denn Hass kann niemals eine Lösung sein – egal, gegen wen er sich richtet.


Dennoch:
Habt einen angenehmen Tag und bleibt gesund und behütet!
Wir lesen uns :bye:

Euer Wilhelm,

der es immer schwerer findet, die Bilder des Hasses auszuhalten, die jetzt wieder täglich auf uns einprasseln.


-1148-

- 9 Bemerkungen zu “Gedanken zum 9. November

  1. Lieber Wilhelm,
    da es mir selbst nicht liegt solch treffende Texte zu schwierigen Themen zu verfassen, kann ich dir nur für diesen Artikel danken.
    “ … Hass kann niemals eine Lösung sein …“ – so ist es.
    Grüße
    Matthias

    1. Vielen Dank, Matthias…
      Mir ist es immer ein Anliegen, an dieses Datum zu erinnern, weil ich es auch als Aufgabe meiner Generation betrachte, das nicht vergessen wird, was die Generationen vor uns angerichtet haben…

  2. Ich bleibe bei meiner Aussage aus der 7. Klasse: „Ich wünsche mir den Weltfrieden!“

    Seit 1980 ist viel passiert auf der Welt. Dieser Wunsch aber wieder aktueller den je!

  3. Ich kann mich nur anschliessen. Auch mir fällt es schwer die richtigen Worte zu finden. Danke das du es für mich tust

  4. Moin Wilhelm.
    Ja, du sagst es. „Denn Hass kann niemals eine Lösung sein – egal, gegen wen er sich richtet.“. Das ist vielleicht der kleinste gemeinsame Nenner der uns (nicht uns beide, sondern uns als Gesellschaft) eint. Aber das war’s dann auch schon. Jedenfalls so nach meinem Empfinden.
    Die Tage sagte eine „Generation-Z“-junge-Verwandte zu mir sinngemäß, als wir auf Antisemitismus zu sprechen kamen:
    Holocaust, das sei die Generation meiner Großeltern gewesen. Das sei für die jungen Menschen von heute weit weg und deshalb lasse man ich dafür auch nicht schuldig sprechen – aber man dürfe nicht zulassen, dass sich das wiederholt. Man dürfe aber auch nicht zulassen, dass Kriegsverbrechen ungesühnt bleiben, auch keine der Israelis. Eine kritische Auseinandersetzung aktuell mit dem Krieg und grundsätzlich mit der israelischen Politik sei noch lange kein Antisemitismus.
    Das sind dann so Momente wo ich denke, dass ich alt, nee, älter werde. Und dass die, die meine Enkel sein könnten, vielleicht doch anders ticken …., aber wahrscheinlich war das damals nicht anders, als ich noch ein Jungspund war ;)
    Grüße nach HH

    1. Mal bezogen auf Deine Verwandte:
      Ich hab ja schon länger keinen direkten Kontakt mehr zu Menschen in diesem Alter, allerdings in der Aussensicht (etwa in einem Forum, in dem ich aktiv bin) einen ähnlichen Eindruck:
      Menschen unserer Generation ( und wohl auch noch unsere Kinder) sind an dem Thema deutlich näher dran als die Generation FFF (Fridays for Future) der ganz andere Themen am Herzen liegen und die deshalb auch den Konflikt zwischen Israel und der Hamas ganz anders bewerten als wir….

      Und ich denke, Du hast auch recht mit dem Eindruck, dass das auch (bezogen auf andere Themen) nicht anders war, als wir noch jung waren:
      Dinge, die uns als absolut wichtig erschienen sind (wie Abrüstung) wurden in Teilen von unserer Eltern- und Grosselterngeneration als völlig unverständlich abgetan…genau wie in meinem Fall etwa meine Wehrdienstverweigerungoder meine Proteste gegen Atomkraft, die zwar in meiner Familie nicht auf Widerstände stiess, aber bei Freunden meiner Eltern durchaus negativ wahrgenommen wurde….

      Und ich denke, das muss auch so, dass die Jugend da anders tickt.
      Allerdings mit der Einschränkung, dass es nach wie vor an uns älteren liegt, dafür zu sorgen, dass Themen wie die Kristallnacht oder der Holocaust trotzdem nicht vergessen werden dürfen….

Zu spät! Leider kannst Du hier nichts mehr anmerken.