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„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Auge um Auge

Mahlzeit!

Nachdem ich ausnahmsweise mal sehr lange geschlafen habe, sitze ich nun an meinem Schreibtisch , daddele etwas lustlos vor mich hin und komme doch nicht weiter mit einem Gedanken, der mir seit gestern durch den Kopf geht, nachdem ich bei Spiegel online eine Kolumne von Sascha Lobo (leider hinter der Bezahlschranke) gelesen habe.

Eine Kolumne, in der er sich mit der Frage beschäftigt, warum es in Blogs und sozialen Medien so wenig Solidarität mit Israel gibt, dem Staat, der am letzten Wochenende zum Opfer eines unvorstellbaren Terroraktes wurde:

Hallo. Ich schreibe dir, weil ich glaube, dass du Teil einer möglichen Lösung sein könntest, aber es bisher leider nicht bist. Diesen Text hast du vielleicht von jemandem zugesendet bekommen, der den gleichen Eindruck hat wie ich. Es geht darum, dass du dich in vielen Bereichen engagierst oder öffentlich laut bist. Das ist gut, Demokratie lebt davon, von Debatten, Diskussionen, Demonstrationen. Aber mir ist etwas an deinen Einlassungen aufgefallen. Du hast ein schwarzes Quadrat gepostet wegen Black Lives Matter. Du hast dein Profilbild in den Farben der Ukraine gefärbt. Du hast Verschwörungstheoretikern widersprochen, als sie Absurditäten über Impfungen erzählt haben. Du hast heftig gegen die AfD argumentiert und auch bei »Je suis Charlie« warst du damals dabei. Zwischendurch hast du immer wieder für Geflüchtete gespendet und dich empört, als Nazis Menschen gejagt oder angezündet haben. Jeder einzelne dieser Punkte ist richtig und notwendig. Dieses bürgerliche Engagement der schieren Menschlichkeit ehrt dich, ohne Übertreibung gehörst du damit zu Stützen der Demokratie und der Zivilgesellschaft in diesem Land.

Aber – du bist still, wenn eine islamistische Terrororganisation israelische Zivilisten überfällt? Und das nicht irgendwie, sondern schlicht monströs. Mehr als 1200 getötete Israelis hat man bisher gefunden, und du schweigst.

Es gibt keine Verpflichtung, sich immer und überall zu positionieren, im Gegenteil ist ein fahler öffentlicher Bekenntnisdruck in sozialen Medien oft ein Problem. Aber du positionierst dich ja freiwillig oft. Dadurch wird der Kontrast zum Schweigen über Israel umso deutlicher. Und es gibt so viele wie dich, dass in der Masse eine katastrophale und schmerzhaft sichtbare Leerstelle entsteht, wenn Terroristen in Israel morden. In vielen Timelines der sozialen Medien kommt Solidarität mit Israel nur dann vor, wenn irgendwelche öffentlichen Accounts ihren Antisemitismus-Ritualen folgen.

Spiegel.de

Und das deckt sich tatsächlich mit dem, was ich selbst auch beobachte – und auch mit unserem, meiner Liebsten und meinem Verhalten in diesem Zusammenhang:
Auch wir engagieren uns ja immer wieder in die verschiedensten Richtungen, für Flüchtlinge, für Obdachlose, gegen die Kackblauen, gegen Rechtsextremismus im Allgemeinen, haben auch kleine Symbole zur Unterstützung der Ukraine in unseren Blogs – doch zum Konflikt im Nahen Osten, zum Terror der Hamas, zur Solidarität mit den grösstenteils unschuldigen Opfern in Israel oder im Gaza-Streifen findet sich hier nichts.

Aber warum nicht?

Warum fällt es uns so schwer, bezogen darauf genauso zu handeln, wie wir es sonst spontan immer gemacht haben, wenn es uns nur wichtig genug erschien oder wir so betroffen davon waren, dass wir das auch öffentlich zeigen wollten?
Warum beziehen wir dazu nicht auch Stellung, wenn kleine Kinder und Jugendliche als Teilnehmer eines friedlichen Konzertes massakriert oder Frauen vergewaltigt und ermordet werden, die ganz bestimmt nicht Treiber eines Jahrzehnte alten Konfliktes sind, der neben islamischem Fanatismus (auch!!!) einen Ursprung im Holocaust des letzten Jahrhunderts in unserem eigenen Land hat, weil der mit dazu führte, dass 1948 der Staat Israel als sicherer Ort für alle in der Welt verstreuten lebenden Juden gegründet wurde? Damals schon gegen den Widerstand der Palästinenser und damit zur Wurzel eines Konfliktes werdend, der sich bis heute fortsetzt.

Ist es verdeckter, immer noch in unsere aller Köpfen verankerter Antisemitismus, wie Sascha Lobo im Weiteren seines Textes mutmasst, oder uns anerzogener Links-Faschismus, bei dem die Rollen von Tätern und Opfern vertauscht werden nach dem stark verkürzenden Motto: „die armen Palästinenser müssen unter israelischem Staatsterror leiden“?

Darüber denke ich nach – und mir fällt keine Antwort dazu ein.

Denn so einfach ist die Geschichte aus meiner Sicht nun auch nicht – obschon ich grosse Sympathien für Israel hege und den die Welt überziehenden Terror fanatischer Muslims nicht gut heissen mag.

Aber schliesslich sind hier beide Parteien des Konfliktes auch Treiber dieser Spirale der Gewalt:
Auf der palästinensischen Seite der fanatische und jedem gesunden Menschenverstand widersprechende Terror von Hams, Hisbollah usw., der auch immer wieder Unschuldige und Unbeteiligte überall auf unserem Planeten zu Opfern macht – und auf der anderen Seite das an schlimmste Zeiten des Kolonialismus erinnernde Gebaren jüdischer Hardcore-Siedler und die aus meiner Sicht völlig überzogene Strategie mit Ausgrenzung, Mauern, Zäunen, Racheakten und gnadenloser militärischer Gewalt, die Israel zu seinem eigenen Schutz auffährt.
Was auch wieder zu vielen unschuldigen Opfern führt, wie wir gerade wieder erleben müssen.
Denn auch im Gaza-Streifen werden wieder Unschuldige zu Opfern. Auch dort sterben ja gerade Kinder, Frauen und alte Menschen unter den Einschlägen der Israelischen Raketen.Auch dort sind Tausende von Unschuldigen auf der Flucht und können der Gewalt trotzdem nicht entrinnen…

Auge um Auge… wie lange soll das wohl noch gehen?

Banksy-Grafity in Bethlehem: Amoured Peace Dove

Und genau da liegt der Grund, warum ich mich so schwer tue, dazu eine klare Stellung zu beziehen und auch eine Solidarität nach aussen hin zu bekunden:

Weil ich beide Seiten irgendwie verstehen kann – die Israelis in ihrem Wunsch nach Sicherheit genauso wie auch die Palästinenser in ihrem Wunsch nach Freiheit für ihr Land. Und weil ich das Verhalten beider Seiten gleichzeitig für verurteilenswert halte.
Denn Gewalt bleibt nun mal Gewalt, egal, wer der Urheber ist. Die kann man (ich!!!) einfach nicht gutheissen. Auch nicht durch ein weiteres Logo, um meine Unterstützung zu zeigen.

Und deshalb bin ich auch nicht einverstanden mit dem, was (der im Übrigen sehr von mir geschätzte) Sascha Lobo weiter unten in seinem Text schreibt:

Dieser Überfall ist entgegen einer viel zu weitverbreiteten Haltung keiner, den man »von beiden Seiten« betrachten muss.
Die Hamas ist eine islamistische Terrororganisation, die Augenzeugen zufolge Kinder getötet, Festival-Besucherinnen zuerst vergewaltigt und dann umgebracht hat
…….

ebenda

Denn tatsächlich gilt das genaue Gegenteil davon:
Meiner Meinung nach muss man das Geschehen im Nahen Osten immer von beiden Seiten aus (und auch unter Würdigung der geschichtlichen Aspekte) betrachten, ohne sich eindeutig Pro oder Contra einer Partei festzulegen. Denn alles andere wird die Eskalation nur noch weiter anheizen….
Deshalb kann eine Lösung auch nur im Dialog und nicht in polemischer Schwarz-Weiss-Haltung für Israel und gegen die Palästinenser liegen, egal wie verdammenswürdig die Massaker vom letzten Wochenende auch sind.

-_-_-_-

Zudem haben zumindest alle Menschen im nahen Osten unsere Solidarität verdient, die – egal ob Israeli oder Palästinenser – nicht Akteure dieses Konfliktes sind:

Die Kinder, die Frauen, die Friedliebenden, die nach einem Ausgleich suchenden, die im öffentlichen Bild dieser gewalttätigen Auseinandersetzung mal wiederkeine grosse Aufmerksamkeit erregen.
Denn diese Vergessenen sind es, die nun mal wieder zwischen die Mühlsteine fanatischer religiöser und machtpolitischer Interessen geraten, ohne etwas dafür zu können….

Aber wie kann man das in diesem Moment nach aussen tragen, ohne sich dabei parteiisch zu zeigen?

Wer den ganzen Spiegel-Beitrag lesen möchte – hier die Kolumne als PDF zum download


Nachdenkliche Grüsse – und bleibt wie immer gesund und behütet!
Wir lesen uns :bye:

Euer Wilhelm,

der Euch natürlich trotzdem ein feines und erholsames Wochenende wünscht…..


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