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„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Die Spur der Steine – Roman


Nachdem ich vor einiger Zeit den in der DDR lange verbotenen Film mit Manfred Krug gesehen hatte, hat mich doch mal interessiert, wie die Romanvorlage dazu aussieht und so habe ich mich  in den letzten Wochen lesend hauptsächlich mit diesem gedruckt über achthundert Seiten starken Wälzer beschäftigt:

Spur der Steine
Von Erik Neutsch

Und ich gebe zu, leicht getan habe ich mich damit nicht immer, denn – was der Film weitgehend verschweigt – beschäftigt sich doch das Buch neben der Dreiecksgeschichte der Liebenden Hannes Balla, Katrin Klee und Werner Horrath auch sehr tiefschichtig mit dem realen Leben in der DDR zum Beginn der sechziger Jahre, ohne (soweit ich das beurteilen kann) zu beschönigen, was wirklich war.
So ist durchaus auch von Umweltschäden und Versorgungslücken die Rede und man erfährt viel über  Funktionen und Fehler der Planwirtschaft und sogar über technische Details sowohl der chemischen Werke in Schkona (gemeint ist wohl Leuna) als auch über Fortschritte in der Bautechnik  dieser Zeit – und sogar über die Entstehung bäuerlicher Produktionsgenossenschaften.

Viel „Makulatur“ also und  wohl  auch nicht der wirkliche Kern der (vordergründig?) in manchen Teilen durchaus kritisch geschrieben  Geschichte, die dennoch immer wieder die Unfehlbarkeit gewisser Parteientscheidungen hervorhebt:
Teils subtil, teils unübersehbar berichtet das Buch auch über eine Wandlung vom Saulus zum Paulus, über Sündenfall und Reue und über die Partei als gütige – fast göttliche- Mutter die fast alles (mal abgesehen von privaten Verfehlungen) am Ende zum Guten in ihrem eigenen Sinne wendet – festgemacht an den drei Hauptpersonen der Handlung:

An Hannes Balla, Chef der Zimmermannsbrigade und ein ziemliches Rauhbein (wenn auch ein sehr liebenswertes), der sich im Lauf des Geschichte vom distanzierten, auf den eigenen Vorteil bedachten Kritiker mehr und mehr zum überzeugten Mitglied von Gesellschaft und Partei entwickelt, ohne dabei seine Empathie und sein Verantwortungsbewusstsein anderen Menschen gegenüber zu verlieren – also quasi zum Idealbild eines Parteikaders. Was natürlich nicht ohne Zweifel und Rückschläge abgeht, aber schlussendlich  doch in ein Happy-End im Sinne der Parteilinie mündet. (und genau das ist es auch, was der Film verschweigt – weshalb er wohl auch verboten war)

An Katrin Klee, einer jungen Ingenieurin, die sich in der Männergesellschaft der Baustelle durchsetzen und bewähren lernt, sich in den Parteisekretär Horrath verliebt und gegen viele Widerstände ein Kind von ihm bekommt, letztendlich aber doch alleine da steht und einen eigenen Weg suchen „muss“.

Und an Werner Horrath, dem Parteisekretär, der sich auf das Doppelspiel einer „verboten Liebe“ einlässt und lange Zeit laviert, um die Konsequenzen daraus nicht tragen zu müssen – sich aber schlussendlich doch bekennt und darüber alles verliert: seinen Job, seinen Ruf, seine Ehe und auch Katrin Klee, seine grosse Liebe.
Wobei seine unzweifelhafte fachliche Qualifikation keine Rolle spielt, sondern moralische Aspekte und Parteidisziplin in den Vordergrund rücken.
Egal ob das „grosse Ganze“ der Baustelle den Bach runter geht oder nicht.

Grosse Gefühle also, die aber den eigentlichen Kern des Buches nur mühsam verdecken können…. und aus heutiger Sicht  einige Zweifel in mir wecken ob der moralischen Zeigefinger, die darin allenthalben erhoben werden. Moral, wie sie wohl auch im Westen zu Beginn der sechziger Jahre eine Rolle spielte, wenn auch unter anderen politischen Vorzeichen und mit weniger scharfen Konsequenzen für den Einzelnen Menschen in der Gesellschaft

Und dennoch fand ich das Buch durchaus unterhaltsam und in weiten Teilen auch spannend zu lesen, zumal es mich in eine mir (als gebürtiger Wessi) völlig unbekannte Welt eintauchen lies mit Zwängen und „Notwendigkeiten“, wie sie mir vorher  so noch nicht begegnet sind.
Gut lesbar auch der Schreibstil des Autors Erik Neutsch, was ebenfalls zum Lesegenuss beitrug.

Meine Bewertung deshalb:

Der Vollständigkeit halber auch noch der recht umfangreiche Klappentext, so wie er auf Amazon der E-Book-Ausgabe beigestellt ist:

Geld, Frauen und das Gefühl, ein Herrscher zu sein auf dem Bau: Das vor allem gehört zum Bild vom angenehmen Leben für den unruhig von Baustelle zu Baustelle streunenden Glückssucher Hannes Balla. Er rebelliert, trumpft auf, wehrt sich: gegen die Anweisungen der Bauleitung, die Forderungen der Partei, gegen sein Gefühl für Katrin Klee, die junge Diplomingenieurin, gegen Horrath, den neuen Parteisekretär von Schkona.
Und doch beginnt er zugleich an der Gültigkeit der lange gehegten Glücksideale zu zweifeln. Mehr und mehr ist er vor allem von Horrath und der Konsequenz seiner Haltung beeindruckt, von Horrath, der für ihn dem Bezirkssekretär gegenüber eintritt und sich nicht scheut, für das einmal als richtig Erkannte sogar eine Parteistrafe auf sich zu nehmen. So sind Ballas Rebellionen, ja sogar sein Schkonaer Streik nur Stationen der konsequent und mit all ihren Widersprüchen gezeichneten Entwicklung eines Menschen, der zur Erkenntnis seiner selbst und seiner Position in der Republik kommt.
Und doch ist das keimende Freundschaftsverhältnis zwischen Horrath und Balla bedroht: Horrath scheint ein Doppelleben zu führen. Er weiß in seine persönlichen Beziehungen keine Ordnung zu bringen. Er vermag sich weder für Katrin Klee, die von ihm ein Kind erwartet, noch für seine Frau Marianne zu entscheiden.
Wie wird sich Balla verhalten, wie Horrath? Wie entscheidet die Partei, nachdem bekannt wird, dass Horrath sie bewusst irregeführt, dass er geheuchelt, kein Vertrauen zu den eigenen Genossen gehabt hat?

Erik Neutschs Buch führt mitten hinein in die Diskussionen um die Normen des gesellschaftlichen Zusammenlebens in der DDR, um Moral, Ökonomie, Kultur. Es stellt Fragen und zwingt den Leser zur ständigen Auseinandersetzung.
Mit seinem großen Komplex von Konflikten und überzeugend gestalteten Charakteren wird es zugleich zur erregenden Widerspiegelung der Entwicklungsetappe in den 1960er Jahren.
Erik Neutsch erhielt für dieses 1964 erschienene Buch den Nationalpreis für Kunst und Literatur der DDR. Frank Beyer verfilmte das Buch bei der DEFA. Der Film mit Manfred Krug und Eberhard Esche wurde zu den Arbeiterfestspielen im Juni 1966 in Potsdam uraufgeführt und begeistert aufgenommen. Auf Betreiben des Zentralkomitees der SED lief der Film nur wenige Tage, danach verschwand er bis Ende 1989 im Archiv.

Und als nächstes lese ich dann mal etwas ganz leichtes :-)


Euch allen einen wunderbaren Abend.
Bleib gesund und bleibt behütet.

Wir lesen uns


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