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„Ja, ich sehe es ein, zweierlei ist möglich, man kann entweder dieses thun oder jenes;
meine aufrichtige Meinung und mein freundschaftlicher Rat ist der:
thu es oder thu es nicht, beides wird dich verdrießen.“
Søren Kierkegaard

Ich glaube, da gibt es ein Problem

Ich hatte das ja schon mal anklingen lassen:
Als Krankenpfleger habe ich in meinen letzten Berufsjahren fast nur noch mit alten (und Teils auch dementen) Menschen gearbeitet und bin demzufolge auch auf einem recht guten Stand, was Forschung und Therapiemöglichkeiten bei Demenz angeht.
Wobei in meinem Arbeitsumfeld in der ambulanten Pflege (flankierend zu anderen medizinischen Massnahmen) häufig Therapieansätze aus dem Bereich der sogenannten „Biographie-Arbeit“  und der „Erinnerungspflege“ zum Einsatz kamen, welche  – ganz unscharf formuliert – darauf abzielen betroffene Menschen auf einer emotionalen Ebene ansprechen zu können, die sonst nur noch schwer erreichbar sind.

Erreichen kann man das (nach ausgiebiger Anamnese) über alle positiven Reize, die alte Erinnerungen wieder aufleben lassen, wie  beispielsweise gewohnte Handlungsabläufe und eine entsprechende „Milieu“-Gestaltung, aber auch über alte Fotos, spezielle Erinnerungsstücke, Gerüche, Geschmack von Essen, taktile Reize wie Umgang mit Kuscheltieren, aber auch Musik aus der Jugend der betroffenen Menschen.
All das soll (im Sinne eines Deja Vu)  in den betroffenen Menschen emotionale Erinnerungen wachrufen und darüber im Idealfall ein Stück Orientierung (auch zur eigenen Person) zurückgeben, was sehr hilfreich sein kann um Ängste oder depressive Verstimmungen zu lösen, von denen Menschen mit Demenz oft betroffen sind. Um so mehr, je mehr man über die Vorlieben der Betroffenen weiss…..
Soweit die Theorie, die sich um so besser umsetzen lässt, je mehr sie auf einen bestimmten Menschen zugeschnitten ist – was in der ambulanten Pflege recht gut umzusetzen ist, da man es ja immer nur mit einem Klienten alleine zu tun hat.

Ganz anders sieht das natürlich in „Einrichtungen“ aus, wo gleich mehrere demente Menschen beisammen sind:
In Tagesstätten beispielsweise oder in Altenheimen.
Da wird es deutlich schwieriger, auf die Vorlieben einzelner Menschen einzugehen, denn jeder hat ja seine eigene Geschichte und damit auch eigenen Neigungen und Abneigungen.
Dennoch versucht man natürlich, auch dort Elemente der Erinnerungspflege umzusetzen – beispielsweise über eine Milieu-Gestaltung mit alten Einrichtungsgegenständen oder Möbeln, Gesprächsrunden über alte Zeitungsartikel, spezielle (hausgemachte) Fernsehprogramme mit alten Filmen oder auch über Musiktherapie….

Und genau da liegt das Problem:
Konnte man bisher die alten Menschen noch gut mit Musik aus den 30er oder 40er Jahren (also Johannes Heesters, Marika Rökk, Zahra Leander usw. und auch mit althergebrachten Volksliedern) erreichen, wird spätestens mit meiner Generation (also der jetzt 60jährigen) der Musik-Geschmack immer weiter auseinanderklaffen. Nicht nur an der (letztens hier schon aufgetauchten) Frage Beatles oder Stones, sondern – viel genereller – an Fragen nach deutschen Schlagerschnulzen, Country, Folk, Rock oder gar Heavy Metal.
Denn da sind ja bekanntlich die Geschmäcker sehr verschieden und die Vorlieben des Einen sind rote Tücher für den Anderen.

Was ja selbst in unserem kleinen Zwei-Personen-Haushalt schon nicht einfach  ist:
Jethro Tull, Queen oder die Stones beispielsweise kann ich nur hören, wenn die Liebste ausser Haus ist, würde mir aber durchaus wünschen, dass ich darauf auch nicht verzichten muss, wenn es bei mir mal so weit ist und ich sabbernd im Tagesraum des Altenheimes sitze. (Und wenn, dann bitte richtig laut ) Oder Klassik, wenn mir danach ist, aber ebenfalls mit gebührender Lautstärke…

Aber damit würde man anderen (und auch der Liebsten) wohl keine Freude machen.

Genau so wenig wie mir, wenn man mich mit Christian Anders (der „Zug nach nirgendwo“ könnte in seiner Orientierunglosigkeit zwar auch gut als Demenz-Hymne durchgehen), Michael Holm, Peggy March oder all den anderen Hitparadenschnulzies aus meiner Jugendzeit berieseln würde (um von Heino  oder Tony Marschall mal ganz zu schweigen). Solche Musik würde mich nur aggressiv machen und sicher keinesfalls zur besseren Orientierung beitragen.
Und es ist mir jetzt schon ein Horror, dass mich damit mal jemand traktieren könnte……

Zumal ich wohl nicht der einzige bin, dem es so geht  – und dazu auch noch kommt, dass selbst die Generation meiner Kinder den Musik-Geschmack der 70er nicht mehr versteht und sicher auch spezielle Vorlieben nicht mehr zuordnen kann. Aber aus dieser Generation werden die Musiktherapeuten kommen, die uns einmal beschallen und bespassen müssen:
Die „Generation Hiphop“ oder schlimmer: die „Generation Rap“, die sicher überhaupt nichts mehr mit dem „Progressive Rock“ meiner Teenager-Jahre anfangen kann…..

Wenn ich darüber nachdenke….. 
Dann kann ich nur hoffen, dass mein zukünftiger Musiktherapeut wenigstens ein Punker ist.

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Bleibt noch zu ergänzen, dass die Liebste natürlich nicht Christian Anders, Michael Holm, Peggy March und Tony Marschall oder gar Heino hört (Wenn das so wäre, wären wir wohl nicht zusammen.) – sondern eher in Richtung Folk und Singer/Songwriter tendiert, wo wir durchaus auch musikalische Berührungspunkte haben.


Euch allen einen schönen Tag und (falls wir uns nicht mehr lesen) ein wunderbares Wochenende.
Bliebt gesund und bleibt behütet.

Wir lesen uns


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